Beschreibung
England, 1880: Die respektable Schneiderin Eileen Brady setzt alles daran, dass niemand ihr wohlgehütetes Geheimnis entdeckt: Als junges Mädchen wurde sie ungewollt schwanger und musste ihre Tochter kurz nach der Geburt weggeben. Und obwohl sie sich nun ihren Platz in der Gesellschaft erarbeitet hat, lässt ihre tiefste Sehnsucht sie nicht zur Ruhe kommen: Sie muss ihre Tocher finden! Ihre Spurensuche führt sie aus der Stadt in das verschlafene, ländliche Almsbrick. Dort trifft sie auf die Witwe Moira, die ein Gemischtwarengeschäft führt und ein Waisenkind aufgenommen hat. In der kleinen, aufgeweckten Maggie glaubt Eileen ihre verlorene Tochter gefunden zu haben. Sie versucht, einen Weg zu Maggies Herzen zu finden, verschließt sich aber vor den freundlichen Annäherungsversuchen der übrigen Dorfbewohner. Doch ihr Leben in Almsbrick wird erst so richtig kompliziert, als Moiras Cousin Matthew auftaucht. Verwundet und desillusioniert aus dem Soldatendienst in den Kolonien zurückgekehrt, will er sich mit einem eigenen Bauernhof ein neues Leben aufbauen. Seine Menschenkenntnis sagt ihm sofort, dass die kühle rothaarige Schneiderin etwas zu verbergen hat. Als auf seinem Hof unerklärliche Dinge passieren, bahnt sich eine ungewöhnliche Allianz an
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Stefan Jäger
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Autorenportrait
Dineke Epping ist Texterin von Beruf. Schon seit der Grundschule macht ihr das Lesen und Schreiben große Freude. Nachdem sie 2014 einen Schreibwettbewerb gewann, fasste sie den Mut, ihr erstes Manuskript an einen Verlag zu schicken. Eine besondere Leidenschaft hegt sie für das viktorianische Zeitalter, wobei sie beim Schreiben gerne der damaligen Lebenswelt auf den Grund geht. Dineke Epping lebt in den Niederlanden.
Leseprobe
1. Kapitel Shrewsbury, Shropshire, Montag, 11. Oktober 1880 'Selbstverständlich teile ich Ihre Einwände, Lady Almsworth.' Fieberhaft dachte Eileen Brady darüber nach, wie sie am besten mit der Dame umgehen sollte, die mit vor Entrüstung geröteten Wangen vor ihr stand. Lady Almsworth sah genau so aus, wie sie sich eine piekfeine Dame immer vorgestellt hatte, das begann schon mit ihrer hochmütigen Haltung. Darüber hinaus war sie von beeindruckender, ausladender Gestalt und Eileen konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Frau fast wie ein Segelschiff in ihr großes und vornehmes Landgut 'hineinsegelte'. Ganz genau so hatte sie nämlich gerade eben Madame Carolls Modeatelier betreten, das Geschäft, in dem Eileen als Schneiderin arbeitete. Jetzt stand sie vor Eileen in der letzten tja, der letzten Kreation, die sie hatte anfertigen lassen. 'Ich habe Madame Caroll nicht dafür bezahlt, dass ich hinterher wie eine kranke Pute aussehe', schnaubte Lady Almsworth. Eileen verschluckte sich. 'Nein, Mylady. Das verstehe ich', gelang es ihr herauszubringen. Doch das war nicht genug. Hinter ihr, im Ankleideraum des Modeateliers, standen Lucy und Mary, die beiden anderen Näherinnen, und warteten mit angehaltenem Atem. Eileen musste sich schnell etwas Überzeugendes einfallen lassen. Eine Dame wie Lady Almsworth, die mit einem Baronet verheiratet war und in einem großen Herrschaftshaus auf dem Land wohnte, würde nicht ohne Weiteres in das Atelier in der Stadt zurückkehren. Sie musste schon sehr, sehr unzufrieden sein. Und jetzt, wo der große Spiegel erbarmungslos alle Schwächen und Fehler des Abendkleides offenbarte, konnte Eileen sie auch gut verstehen. 'Gut, dass Sie mit mir einer Meinung sind, Miss Brady', stellte die Dame schnippisch fest. 'Die Frage ist jedoch, was Sie zu tun gedenken. Diese Ärmel sind schlichtweg lächerlich.' Hinter ihr schnappte Lucy nach Atem. Weil die erfahreneren Schneiderinnen keine Zeit gehabt hatten, hatte sie das Kleid genäht. 'Ich hatte Ihnen ja schon vorgeschlagen, ein farbiges Band anzubringen', piepste das schüchterne Mädchen. 'Ihre Kollegin meint offensichtlich, ich würde in einem Theater arbeiten wollen, Miss Brady.' Das wäre noch nicht einmal eine schlechte Idee gewesen, schließlich hatte die Frau auf jeden Fall einen Hang zum Dramatischen. Jetzt hob Lady Almsworth ihren Arm in die Höhe. Der kurze Ärmel war weiter, als auf dem Schnittmuster angegeben, das bemerkte Eileen sofort, und darunter entdeckte sie eine Quaste? Überrascht starrte sie Lucy an. In all ihren Jahren bei Madame Caroll hatte sie noch nie so etwas Absurdes gesehen. 'Ich habe gedacht ', stammelte Lucy mit zitternder Stimme. 'Weil das doch ein Feiertagskleid ist ' 'Ein Feiertagskleid?', blökte Lady Almsworth. 'Was denkst du dir, Kind? Das ist ein Abendkleid, das ich nach einem Fest anziehen möchte. Jedenfalls ist das meine Absicht gewesen.' Lucys Kehle entfuhr nur ein kurzer, mitleiderregender Seufzer. Eileen hoffte von Herzen, dieses junge, unsichere Mädchen würde nicht in Tränen ausbrechen. Damit würde sie nur dafür sorgen, dass Lady Almsworth noch mehr forderte. In Situationen wie dieser war es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und professionell zu reagieren. So wie sie es gelernt hatte. Eileen holte also tief Luft und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, obwohl sie leider nicht besonders groß war. Wenn doch nur die Sommersprossen ihrem Gesicht nicht so einen jugendlichen Ausdruck verliehen hätten! 'Wir werden die Quasten unverzüglich entfernen, Mylady. Die ganze Sache beruht vermutlich auf einem bedauerlichen Missverständnis.' 'Lassen Sie mich eines deutlich sagen, Miss Brady. Ich bin geneigt zu warten, bis ich Madame Caroll selbst sprechen kann. Ich bestehe darauf, dass ein neues Kleid angefertigt wird.' Eileen war sich nicht sicher, ob sie hoffen oder fürchten sollte, dass Madame Caroll schnell zurückkam. All die Meter nachtblauer Seide, die in diesem missglückten Abendkleid verarbeitet worden waren, all die Spitze, die vergeudet worden war Niemand anderes würde ein Kleid kaufen wollen, das von Lady Almsworth zurückgewiesen worden war. 'Ich habe im Atelier Caroll noch nie so eine schlechte Arbeit gesehen', fuhr Lady Almsworth fort. 'Wie lange arbeiten Sie jetzt schon hier, Miss Brady?' 'Schon seit sieben Jahren, Mylady. Seit 1873.' Das war ihre Rettung gewesen, aber das durfte niemand wissen. Madame Caroll würde sie sonst auf der Stelle entlassen, egal wie gut sie mit schwierigen Kundinnen umgehen konnte. Sie betrachtete die Quasten, die fröhlich neckend - nein, verhöhnend - an verschiedenen Stellen des Kleides herumbaumelten. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. 'Schleifen!' 'Schleifen?', wiederholte Lady Almsworth und auch Lucy schaute sie verdutzt an. 'Ja, in der Tat, Schleifen. Die haben wir ganz vergessen. Lucy, hole mir doch einmal die französischen Zeitschriften.' Das Mädchen blinzelte verwirrt mit seinen großen blauen Augen. 'Die die Zeitschriften?' Mit Mühe unterdrückte Eileen ein Seufzen. 'In dem Schrank neben dem Schreibtisch. Das große Fach auf der linken Seite. Rechter Stapel. Ich habe die neueste obendrauf gelegt.' Sie sorgte regelmäßig für Struktur, das brachte später Vorteile. So wie jetzt. Diensteifrig kam Lucy mit den Modeblättern angelaufen. Eileen wusste noch genau, wie das Modell ausgesehen hatte. 'So hätte der Schnitt der Ärmel aussehen sollen.' Lady Almsworth betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. 'Darf ich es Ihnen zeigen?' Sie holte eine Schachtel mit Stecknadeln aus ihrem ordentlich aufgeräumten Nähkästchen. Anschließend zog sie den Stoff des lose fallenden Ärmels etwas in die Höhe und steckte ihn fest. Sorgfältig arrangierte sie die kleinen Fältchen. 'Und hier kommt anschließend ein kleines Schleifchen hin. Nicht auffallend, sondern sehr elegant.' Sie deutete es mit einem Rest aus schwarzer Seide an. Prüfend legte Lady Almsworth den Kopf zur Seite. Über ihre Schulter betrachtete Eileen sie ebenfalls im Spiegel. Irgendetwas fehlte. Aber was? 'Es gibt noch mehr von dieser schwarzen Seide für den Ausschnitt', schlug Lucy hoffnungsvoll vor. Du lieber Himmel, nein. Lady Almsworths Dekolleté musste mit Sicherheit nicht noch mehr unterstrichen werden. 'Das Kostüm auf dieser anderen Abbildung hat kleine Rös-chen', bemerkte die Dame in triumphierendem Tonfall. 'So etwas liefern Sie sicher nicht?' 'Ich fürchte ', begann Lucy zögernd. Doch genau das war die Lösung! 'Natürlich tun wir das', unterbrach Eileen sie hastig. 'Aber wir fertigen sie aus schmalen Samtbändchen an, was tatsächlich für einen noch kunstfertigeren Effekt sorgt.' Sie machte es Lucy und Mary vor und hoffte, dass sie dieses Mal gute Arbeit abliefern würden. 'Mit denselben Schleifchen wie auf den Ärmeln befestigen wir hier ein Band aus kleinen Röschen. Das unterstreicht die elegante Form des Rocks.' Und es überdeckte die Fehler. 'Ich könnte Ihnen auch noch ein paar davon als Haarschmuck mitgeben.' Lucy schnappte sich eifrig ein paar Nadeln, um die Röschen festzustecken. Eileen bemerkte, wie ihre Finger zitterten. 'Lass mich das machen.' Sie war stolz auf die Technik, die sie entwickelt hatte, um Kleider schnell und ordentlich abzustecken. Es war mittlerweile schon mindestens vier Jahre her, seit sie das letzte Mal versehentlich eine Kundin gestochen hatte, und das durfte jetzt auf gar keinen Fall passieren. Nachdem sie die lächerlichen Quasten entfernt hatte und mit den Schleifchen fertig war, trat sie einen Schritt zurück und wartete. Lucys Gesicht war die Anspannung anzusehen. Wenn das Mädchen jetzt bloß alles ihr überlassen würde. 'Mir gefällt es', verkündete Lady Almsworth schließlich. Eileen versuchte sich die Aufregung nicht anmerken zu lassen. Sie musste unbedingt kühl und professionell bleiben. 'Es bleibt mir allerdings ein Rätsel, warum das in dem ursprünglichen Entwurf nicht vorgesehen war.' Lucy öffnete ihren Mund, um zu antworten, Eileen warf ihr jedoch einen so eindringlichen Blick zu, dass sie ihre Lippen sofort...