Beschreibung
South Carolina, 1946: Millie Middleton, die Tochter eines Italieners und einer Afroamerikanerin, verlässt Charleston mit nicht viel mehr als zwei Knöpfen als Erbstücken und dem Traum von einem eigenen Bekleidungsladen. Sie muss ihre Herkunft verbergen, um eine Chance auf das Leben zu haben, das sie sich wünscht. Alabama, heute: Harpers Traum, Modedesignerin zu werden, zerschlägt sich und sie kehrt dorthin zurück, wo alles begann: nach Fairhope zu Millie, der alten Dame, die ihr das Nähen beibrachte. Zusammen mit ihr fährt Harper nach Charleston - zu dem Mann, der der Schlüssel zu Millies bestgehütetstem Geheimnis ist und sie beide zu einem Neuanfang führen könnte. Doch lässt sich auch die Art von Nähten flicken, die das Leben aufgetrennt hat?
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Autorenportrait
Ashley Clark lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und zwei Cocker Spaniels nahe der Golfküste Floridas. Sie ist Literaturdozentin, gibt Kurse für Kreatives Schreiben und ist schon lange bei den American Christian Fiction Writers aktiv.
Leseprobe
Kapitel 1 Charleston, 1946 Millicent Middleton Das sollte sie sagen, wenn jemand sie nach ihrem Namen fragte, hatte Mama gesagt. Wenigstens war er zur Hälfte wahr. Millie vermutete, dass ihre Mama übervorsichtig war, so wie alle Menschen, wenn sie unter körperlichem oder seelischem Schmerz litten, aber es machte ihr nichts aus, ihr den Gefallen zu tun. Sie selbst trauerte auch noch um ihren Daddy - soweit sie sich an ihn erinnerte - und manchmal fragte sie sich Wenn sie doch nur vorsichtiger gewesen wären, dann wäre er vielleicht nicht gestorben. Millie rückte den roten Hut zurecht, den sie mit einer Nadel an ihren kinnlangen Locken befestigt hatte, und blickte durch das Fenster des Bekleidungsgeschäftes in der King Street. Der Rock ihres graublauen Kleides schwang ein wenig hin und her, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um besser in den Laden hineinsehen zu können. Seit sie die Knöpfe ihrer Mama zum ersten Mal gesehen hatte, war Millie von Kleidern fasziniert. Und von den Geschichten der Frauen, die sie trugen. Mama hatte Knöpfe gesammelt - sie sagte immer, zu jedem Knopf gebe es ein passendes Knopfloch -, aber sie hatte zwei Schmetterlingsknöpfe, auf die sie besonders aufpasste und für die sie aus irgendeinem Grund nie eine Verwendung fand. Eigentlich war es sinnlos, dass Knöpfe von dieser Schönheit einfach herumlagen. Vielleicht warteten sie nur auf genau das richtige Kleidungsstück. In dem Geschäft griff eine blonde Frau nach einem pfirsichfarbenen Kleid, das dort ausgestellt war. Was Millie nicht dafür gegeben hätte, in den Laden zu gehen und selbst die Finger über den Stoff gleiten lassen zu können! Am Rücken des Kleides fielen mehrere Lagen Seide übereinander und endeten an der figurbetonten Taille in einer Knopfreihe. Es war ein einziger Sommertraum. Millie seufzte. Irgendwann vielleicht. Während sie noch in dem Anblick schwelgte, stolperte ein junger Mann auf dem Gehweg und stieß gegen ihren Arm. Er zog den Ellbogen sofort zurück und die Blicke der beiden begegneten sich. Er war sehr gut aussehend - das bemerkte Millie sofort - und wirkte wie einer, der vom Krieg mit Deutschland zurückgekehrt sein könnte. Seine Augen waren strahlend blau, sein blondes Haar leuchtete und seine Nadelstreifenweste betonte seine breiten Schultern. Millie lächelte ihn an. Er erwiderte es mit einem Grinsen. Ihr Herz flatterte angesichts der Möglichkeiten, die sich eröffneten, weil jemand sie bemerkt hatte. »Sehen Sie sich Brautkleider an?«, fragte er und seine Augen blitzten. »Meinem Vater gehört der Laden, müssen Sie wissen.« »Ja ich meine nein, nein.« Millie schüttelte den Kopf. »Ich sehe sie mir an, aber ich will keines kaufen.« Sie hob die linke Hand, sodass er ihre Finger sehen konnte. »Damit will ich sagen, dass ich nur von Kleidern geträumt habe. Von den Stoffen. Davon, solche Kleider zu nähen.« Er lachte über ihre Antwort. Es schien ihm zu gefallen, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. Dann ergriff er Millies Hand, als wollte er sie näher begutachten. »Aber sagen Sie mal - warum trägt eine so schöne Frau wie Sie noch keinen Ring?« Wahrscheinlich war er ein Schwätzer, aber das war Millie gleichgültig. Sie hatte noch nie so offene Schmeicheleien von einem Jungen erlebt und beschloss, die ungewohnte Aufmerksamkeit zu genießen, solange sie währte. Millie zog ihre Hand aus seiner, weil sie nicht wollte, dass andere auf sie und diesen Fremden aufmerksam wurden, obwohl sie seine Berührung insgeheim genossen hatte. Sie rieb über den Rand ihres Ärmels, der an ihrem Handgelenk kratzte, und einen Augenblick lang fragte sie sich wusste er es nicht? Konnte er nicht sehen, was an ihr anders war? Aber wenn doch - so etwas sagte man ja nicht. Jedenfalls nicht laut. Und was spielte es schon für eine Rolle? Schließlich wollte sie ihn ja nicht heiraten. »Ich heiße übrigens Harry.« Der junge Mann verlagerte sein Gewicht auf seine Fersen. »Harry Calhoun. Und du?« »Millicent Middleton.« Harry nickte einmal. »Es ist mir ein Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen, Millie.« Er blickte die Straße hinunter und zeigte mit dem Kopf auf das Eiscafé an der Straßenecke. »Du hast bestimmt keine Lust auf ein Eis oder eine Coca-Cola mit mir, oder? Ich lade dich ein.« Millie schluckte die Panik hinunter, die in ihrer Kehle aufstieg. Mit diesem Jungen zu reden, war eine Sache, aber ganz frech mit ihm diesen Laden zu betreten? Vor aller Augen? Das war etwas anderes. Sie rückte den Hut auf ihrem Kopf zurecht, obwohl das gar nicht nötig war. »Ich weiß die Einladung sehr zu schätzen, aber ich « Harry senkte den Kopf einige Zentimeter, um ihr wieder in die Augen zu sehen. »Ach, komm schon! Es ist doch nur ein Eis.« Sie liebte Eiscreme. Und sie hatte schon ewig keine mehr gegessen. Die Leute im Radio sprachen ständig von der Wirtschaftskrise und dem Krieg und dem Wiederaufbau des Landes; Millies Eltern waren in den Jahrzehnten davor nicht gerade im Luxus aufgewachsen. Genau genommen konnte Millie sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Mal einen Eisbecher gegessen hatte. Vielleicht vor einem Jahr? An ihrem Geburtstag? Sie konnte die Schokoladen-Karamell-Soße und das Vanilleeis fast schmecken. Millie seufzte. Sie sollte Mama um Punkt fünf Uhr treffen. Aber solange ihre Mutter und Harry sich nicht begegneten, vielleicht »Okay.« Das Wort war ihr herausgerutscht, bevor sie die Chance hatte, es sich anders zu überlegen. »Wunderbar!« Harry klang, als hätte er nie eine andere Antwort von ihr erwartet. Sein Lächeln war noch eine Spur heller geworden. Er setzte sich in Bewegung und warf einen Blick über die Schulter zurück. Offenbar erwartete er, dass sie ihm folgte. »Warst du schon mal in diesem Café?« Diese Frage konnte sie eindeutig verneinen. Millie zögerte. »Ich glaube nicht.« »Sie machen ein herrliches Softeis dort. Ich nehme es immer mit Kokosraspeln.« Ein Automobil stieß eine Abgaswolke aus, während es die King Street hinunterratterte. Harry wartete ab, dann sah er nach rechts und links, bevor er die Straße überquerte. Millie blieb dicht bei ihm und der Rock ihres Kleides tanzte bei jedem Schritt um ihre Beine. Wenige Augenblicke später erreichten sie das Eiscafé. Harry hielt ihr die Tür auf und Millie trat ein. Sie war noch nie auf der anderen Seite der Glasscheibe gewesen. Eine Jukebox in der Ecke spielte eine fröhliche Melodie und Gäste saßen auf Hockern an der Bar. Alles war so, wie sie es sich immer vorgestellt hatte, nur, dass es echt war. Wirklichkeit. Und es roch herrlich. Millie lächelte. Es würde ein toller Nachmittag werden. Für ein kleine Weile konnte sie ein anderes Leben führen. »Hallo, Kinder. Setzt euch.« Der Mann hinter dem Tresen füllte Berge von Eiscreme in schnörkelige Glasbecher und goss Sirup darüber. Harry wählte einen Sitz in der Mitte der Bar und Millie rutschte auf den Hocker neben seinem. Handbemalte Schilder für Limonade, Kakao und Eiscreme hingen an der Wand hinter dem Tresen und der schwarz-weiß karierte Fliesenboden passte gut zu dem Lokal. Millie drehte sich auf ihrem Hocker nach links und rechts. »Was kann ich für euch tun?« Der Mann hinter der Bar zog einen Stift hinterm Ohr hervor und einen Notizblock aus seiner Schürze. »Ich nehme ein Eis mit Schokoladen-Karamell-Soße.« Millie versuchte, nicht so begeistert zu klingen, wie sie war, denn sie wusste, in diesem Traum war sie das Aschenputtel, und er sollte nicht eine Sekunde früher enden als nötig. Harry sollte auf keinen Fall glauben, sie hätte an einem Ort wie diesem nichts verloren. Obwohl es ja stimmte. »Wird gemacht.« Der Mann trommelte mit den Fingern auf den Tresen. »Und du?« Harry bestellte das Gleiche und dazu Kokosnussraspeln. Während der Mann sich ihren Bestellungen widmete, wandte Harry sich erneut mit diesem gefährlichen Grinsen an Millie. »Also, wenn du selbst keine Hochzeit planst, Millie Middleton, wieso hast du dann in ein Geschäft für Brautmoden gespäht? Hast du etwa jemandem nachspioniert?« Millie lach...