Beschreibung
Kein Spieler prägte die 80er Jahre beim FC Bayern so wie Klaus Augenthaler. Als er 1980 die Meisterschale zum ersten Mal in die Höhe stemmte, galt er noch als solider Ausputzer mit einem äußerst strammen Schuss, stand aber wie die meisten seiner Mitspieler im Schatten des Duos Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge. Und nur die wenigsten trauten ihm zu, da einmal herauszutreten. Er selbst brauchte das Rampenlicht sowieso nicht. Doch als Udo Lattek Augenthaler mit den Worten Du bist jetzt mein Kapitän in die Verantwortung nahm, konnte und wollte er nicht ablehnen. Mit ihm als Spielführer erlebte der FC Bayern seine bis dahin beste Zeit in der Bundesliga, und für seinen Verein ging Auge bis an die Grenzen des gerade noch Erträglichen: Ich habe immer nur rot-weiß gedacht, blickt er auf ein für ihn und seinen Klub ungewöhnlich erfolgreiches Jahrzehnt zurück, das mit der Weltmeisterschaft in Italien seinen krönenden Abschluss fand. Aber das bayerisches Urviech, wie ihn der Boulevard auch nannte, stand neben Fleiß, Ehrgeiz und Siegeswillen auch für Lebensfreude: Weißbier und Zigarette waren treue Begleiter seiner Karriere und deuten darauf hin, dass er für das Leben als Profifußballer vieles, aber eben nicht alles zu opfern bereit war. Immer nur rot-weiß gedacht ist nicht nur ein Buch über die Klublegende Klaus Augenthaler, sondern auch über die Bayern und den Profifußball der 80er Jahre. Als der Verein sogar ab und zu sein Konto überzog, das Olympiastadion reichlich Platz für Kurzentschlossene bot, Karten noch nicht Tickets hießen und meistens erst an der Tageskasse gekauft wurden.
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Arete Verlag
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Autorenportrait
Albrecht Breitschuh ist Journalist beim Norddeutschen Rundfunk. Viele Jahre hat er für den NDR live aus den Fußball-Stadien des Nordens berichtet und war Teil der legendären Bundesliga-Schlusskonferenz. Im Arete Verlag sind von ihm bereits mehrere Bücher zu Bayern München erschienen.
Leseprobe
Vorwort Der Ball hatte seine Reiseflughöhe verlassen und sich zur Landung bereit gemacht, als Uli Stein mehr als nur eine Ahnung befiel, dass es gleich unangenehm für ihn werden könnte. Der Torwart von Eintracht Frankfurt gehörte nicht zu jenen damals üblichen Vertretern seiner Zunft, die ihren Strafraum ausschließlich zur Halbzeit oder nach dem Schlusspfiff verließen. Vielmehr nahm Stein aktiv am Spielgeschehen teil, unterband die gegnerischen Angriffe oft weit vor dem eigenen 16er, um dann persönlich den Konter einzuleiten. Das mit seinen Ausflügen verbundene Risiko nahm er gern in Kauf. Nicht nur weil es seinem draufgängerischen Naturell entsprach, sondern auch weil Steins fußballerische Möglichkeiten für diese Art von Torwartspiel locker ausreichten und er den Nutzen deshalb zu Recht deutlich höher einschätzte. Vor wenigen Augenblicken stand er noch in der Mitte der eigenen Hälfte und hatte von dort recht entspannt das Spielgeschehen verfolgt. Die Eintracht traf in der ersten Runde des DFB-Pokals auf den FC Bayern, viel war noch nicht passiert, 0:0 stand es nach gut einer halben Stunde, keines der beiden Teams wagte sich so richtig aus der Deckung. Plötzlich stieg der Lärmpegel im mit 50.000 Zuschauern gut gefüllten Waldstadion. Ein langer Pass in die Hälfte der Gäste, der Frankfurter Mittelfeldspieler Uwe Bein musste jetzt nur noch als Erster an den Ball kommen, um freie Bahn auf dem Weg zum Tor der Bayern zu haben. Doch die Aufregung legte sich schnell wieder. Der seitlich herbeieilende Klaus Augenthaler hatte die Situation früh erkannt, war einen Tick eher als Bein am Ball und konnte klären, bevor es vielleicht gefährlich wurde. Anschließend ließ er auch den von hinten anrückenden Jörn Andersen mit einer eleganten Körpertäuschung ins Leere laufen und hatte nun, noch tief in der eigenen Hälfte stehend, keinen Gegenspieler mehr vor sich. Bis auf Bein und Andersen hatte sich die komplette Frankfurter Mannschaft wieder in die eigene Hälfte zurückgezogen. Augenthaler schaute kurz nach links und rechts, schien zu überlegen, ob er vielleicht abspielen sollte, entschied sich dann aber dafür, den vor ihm liegenden freien Raum zu nutzen, erhöhte das Tempo und hatte wenige Sekunden später den Mittelkreis erreicht. Rechts von ihm war Olaf Thon mitgelaufen. Ab hier fühlte sich der Mittelfeldmann für die Fortsetzung des Angriffs zuständig und forderte den Ball: Spiel, spiel!, rief er seinem Mannschaftskapitän zu, aber der verfolgte seine eigenen Pläne und hatte längst erkannt, dass sich der Frankfurter Keeper ziemlich weit vor seinem Kasten befand, vermutlich sogar eine Idee zu weit. Schon einmal war Augenthaler ein Treffer aus dieser Entfernung geglückt, bei einem Freundschaftsspiel der Bayern in Marokko. Kaum einer hatte damals Notiz davon genommen. Nun war der Moment günstig, diese Nummer auf größerer Bühne zu präsentieren. Mit der Wucht und der Präzision, für die seine Schüsse so legendär wie gefürchtet waren, Ergebnis jahrelanger Extraschichten nach dem Training, in denen er die Bälle reihenweise aus 20 oder 25 Metern in den Winkel setzte, drosch Augenthaler kurz hinter der Mittellinie mit dem Vollspann auf das Frankfurter Tor und brachte seinen alten Kumpel Uli Stein damit in größtmögliche Verlegenheit. Denn auch für Stein wiederholte sich in diesem Moment ein Stück Fußballgeschichte. Drei Jahre vorher hatte ihn der Uerdinger Matthias Herget aus ähnlicher Distanz überrascht: Deswegen ändere ich doch meine Spielweise nicht", versicherte der seinerzeit noch beim HSV unter Vertrag stehende Torwart. So ein Tor kommt höchsten alle Jubeljahre vor." Jetzt war es mal wieder soweit. Obwohl er so schnell es ging Richtung Fünfmeterraum zurückeilte und mit einem geradezu verzweifelten Hechtsprung noch versuchte, den sich ganz spät senkenden Ball zu erreichen, schnappte Stein ins Leere. Und während die Fans im Gästeblock völlig aus dem Häuschen waren und sich die übrigen Zuschauer im Stadion fragten, wann oder ob sie so etwas überhaupt schon einmal gesehen hatten, trabte der Bayern-Libero ungerührt zurück in die eigene Hälfte. Auch die Gratulationen seiner Mitspieler fielen nicht gerade überschwänglich aus. Ein paar Schulterklopfer, die der Torschütze ohne erkennbare Emotionen über sich ergehen ließ, dann waren auch die Kollegen bereit für die Fortsetzung des Spiels: Ich war schon immer ein Typ, der sich mehr nach innen freut", erklärt Klaus Augenthaler über 30 Jahre später, warum er selbst nach diesem Moment höchster Fußballkunst ganz bei sich blieb. Da an diesem Nachmittag keine weiteren Tore fielen, endete für die Bayern eine Serie von 20 sieglosen und zum Teil demütigenden Auftritten im Waldstadion. Sie hatten die erste Runde des DFB-Pokals überstanden, ohne in diesem Wettbewerb aber weiter auffällig zu werden. Zwei Runden später war nach einem 0:3 beim VfB Stuttgart Endstation, was aber außer den Zuschauern im Neckarstadion kaum einer mitbekam, da an jenem 9. November 1989 in anderen Teilen der Republik Dinge passierten, deren historische Dimension durchaus an eine Pokal-Niederlage des Rekordmeisters heranreichte. Trotzdem wurde es noch eine erfolgreiche Saison - für die Bayern und vor allem für Klaus Augenthaler. Dass sein Treffer gegen Uli Stein mit großem Vorsprung zum Tor des Monats und Tor des Jahres gewählt wurde, war keine so große Überraschung, aber das reichte den Zuschauern der ARD-Sportschau nicht. Sie bestimmten diesen Präzisionsschuss aus rund 50 Metern wenig später auch noch zum Tor des Jahrzehnts. Seines Jahrzehnts, wie man mit einigem Recht sagen kann. Denn als diese Dekade mit dem Ende der Saison 1989/90 reif für Bilanzen war, standen für Augenthaler sieben deutsche Meisterschaften, drei Erfolge im DFB-Pokal und als Krönung der Gewinn der Weltmeisterschaft zu Buche. Nach Titeln gerechnet, der immer noch härtesten Währung im Profi-Fußball, war er im bald wiedervereinigten Deutschland der Erfolgreichste seiner Branche. Klaus Augenthaler war auch der einzige Spieler des FC Bayern, der diese ungewöhnlich erfolgreiche Zeit der Münchner von 1979/80 bis 1989/90 komplett miterlebte, als der Verein nach einigen Jahren des Mittelmaßes wieder zu alter Größe fand. Drehte sich am Anfang noch alles um das kongeniale Duo Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge, deren Führungsrolle vom Rest der Mannschaft nie ernsthaft in Frage gestellt wurde, übernahm Auge spätestens 1984, nach dem Wechsel Rummenigges zu Inter Mailand, Verantwortung fürs große Ganze. Nicht ganz freiwillig, gedrängt hatte es ihn nie, Mannschaftskapitän zu werden. Die Liste seiner Vorgänger war schließlich prominent besetzt: Vor Rummenigge und Breitner trugen Gerd Müller, Sepp Maier und der über allen thronende Franz Beckenbauer die Binde. Letzterer hatte Augenthaler am Anfang seiner Karriere, als er bei einem Freundschaftsspiel in Zürich eingewechselt wurde, mit den Worten Jetzt kommt schon wieder so ein Blinder recht deutlich zu verstehen gegeben, dass im Profisport vor allem Nehmerqualitäten gefragt waren. Augenthaler lernte seine Lektion schnell. Als zwei Jahre später, nach Beckenbauers Wechsel zu Cosmos New York, die Rückennummern neu verteilt wurden, griff er sich das Trikot mit der Nummer 5. Vor ihm hatte das der Weltmeister Katsche Schwarzenbeck abgelehnt, aus Ehrfurcht vor der Vereinsikone. Augenthaler sah das pragmatischer: Dass er nie die Leichtigkeit und Eleganz eines Franz Beckenbauers ausstrahlen würde, musste ihm niemand sagen. Aber weil er seinen Anspruch auf einen Stammplatz unterstreichen wollte, sah er in der Rückennummer des großen Vorgängers nur das, was sie bei näherer Betrachtung auch war: eben eine Nummer. Und nun sollte also dieser Blinde die Mannschaft führen. Augenthaler entwickelte dabei seinen eigenen Stil. Anders als die meisten seiner Vorgänger, die den Fußball auch als Teil der Unterhaltungsbranche schätzten und sich entsprechend in Szene zu setzen wussten, war dem eher wortkargen Niederbayern jede Form von Selbstdarstellung fremd. Er war keine...