Beschreibung
Autor Jürgen Kessler erinnert mit seinem Bühnenstück UND SIE BEWEGT DICH NOCH! an den im Dezember 2005 verstorbenen unvergesslichen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der am 6. Mai 2015 neunzig Jahre alt geworden wäre. Das Stück ist eine Hommage an den Menschenfreund vom Niederrhein, dessen tiefe, kritische Beobachtungen Kessler im zweiten Teil des Stückes so poetisch fortschreibt, als wärs ein Stück von Hüsch heute. Dabei stützt er sich auf dessen Programm UND SIE BEWEGT MICH DOCH! von 1984, welches Hüsch selbst als seine beste Arbeit bezeichnete. Holk Freytag, Regisseur und langjähriger Intendant, ebenso lange wie Kessler mit Hüsch befreundet, inszeniert das Stück, in dem Irmgard Haub als Sängerin mehrfach zu hören ist, begleitet von Johannes Reinig am Klavier. Freytag mimt den Hüsch, Kessler dessen Agenten, welcher im wirklichen Leben er über drei Jahrzehnte lang war. Außerdem gibt es Wortbeiträge und Grüße an den Jubilar von einer alten Liebe aus Berlin, von Ottfried Fischer, Harald Martenstein und Renate, der Witwe Dieter Hildebrandts.
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Autorenportrait
Jürgen Kessler leitet seit 1989 das Deutsche Kabarettarchiv. Von 1969 bis 2002 arbeitete er mit Hanns Dieter Hüsch zusammen, dessen Werkbiografie er im Karl Blessing Verlag (München) 1997 herausgab: 'Kabarett auf eigene Faust'. Zwölf Jahre gehörte der Volljurist dem Rechtsamt der Stadt Mainz, dem Forum-Theater Unterhaus wie auch der Projektgruppe des Open Ohr Festivals an, war Europatourneeleiter von Gerry Mulligan und ehrenamtliches Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Deutschen Veranstaltungswirtschaft (Hamburg). In Mainz initiierte er das Erinnerungsprojekt Sterne der Satire, den etwas anderen Walk of Fame. Buch- und Onlinebeiträge zur Kritik und Kultur - geschichte des Kabaretts, Ausstellungen und Eröffnungsbeiträge für mehr als hundert Vernissagen in sieben Ländern. Chansons, Texte, zuletzt die Erzählung 'Über den Klippen. Als ich Willy Brandt einmal zu Bett brachte'.
Leseprobe
VERTEIDIGUNG DER UNVERSCHULDET SCHWACHEN GEGEN DEN ÜBERMUT DER STARKEN In Zeiten, in denen es Satirikern an den Kragen geht, sei es mit nicht für möglich gehaltener roher Gewalt, sei es durch charakterlose Hanswurste, wie der Vater des Wortes: Was darf die Satire? Alles! jene nennt, die ihrer Zunft keine Ehre machen, jeden billigen Schmäh, jede hemmungslose Herabsetzung zur Satire erklären, oder sei es mit der eigenen Schere im Kopf aus Angst vor unkalkulierbaren Folgen - in solchen Zeiten sich an Hanns Dieter Hüsch zu erinnern, ist wie das Innehalten auf einer einsamen Insel mitten im polyphonen Strom. War Hanns Dieter, der liebenswürdige Poet vom Niederrhein, ein Satiriker? Er war es auch, denke ich, vielleicht nicht immer und zu allen Zeiten. O ihr Satiriker alle, von Heine, Heinrich bis Tucholsky, Kurt: seid gegrüßt von einem, der in eurer Haut steckt, schätzte er sich selbst in einem Text zurückhaltend ein. Für mich war er vor allem der ironische Alltagsgeschichtenerzähler, der Lyriker unter den deutschen Kabarettisten. Doch was ist Satire? Was ist sie für mich? Was ist sie nicht? Welche Anforderungen stellt sie? Welche Anforderungen sind an sie zu stellen? Satire ist kein Himbeerwasser, sagte Heinrich Böll. Sie ist eine Kunstgattung, die durch Übertreibung, Ironie und Spott an Personen, Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt, so der Duden. Für mich ist Satire eine hervorragende Möglichkeit, Missstände aufzugreifen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie zunächst in das Gewand der Realpolitik schlüpft, um einen Haken zu schlagen, der den Betrachter irritiert: Man kommt ins Zweifeln, ob das, was man sieht, real ist oder eben Satire. Wenn sie gut ist, bewirkt sie Selbstentblößung der satirisch Provozierten. Bösartige Unterstellungen sind hingegen nicht wofür sie bedenkenlos ausgegeben werden: Satire kann man nur verantwortlich und mit gehöriger Phantasie herstellen, sonst gerät sie schnell plump und nur verletzend, wo es um Aufklärung gehen sollte, um die Kenntlichmachung von Zuständen, über die der Betrachter sich mittels der Satire ein eigenes Urteil bilden können soll. Sie muss auf Wahrheit, auf Wirklichkeit beruhen. Nur dann ist Übertreibung, satirische Überzeichnung gerechtfertigt. Wichtig bleibt für mich: Sie verteidigt die unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken. In Demokratien darf man mit Satire anecken, sie ist unerlässlich, um die Grenzen der Meinungsfreiheit immer wieder neu auszuloten. In Diktaturen riskieren Satiriker zuweilen Heimat, Freiheit, Leib oder Leben, in so genannten Gottesstaaten nicht minder. Wir erleben heute in Europa, wie deren Gesandte die Freiheit von Kunst und Meinung brutal attackieren. Von solchen Bedingungen blieb Hanns Dieter Hüsch zu seiner aktiven Zeit verschont. Schlüpfte er in die Haut des Satirikers, griff er exponierte Personen von der Bühne herab an, forderte er Unangreifbarkeit von seinem Text. Er war kein Nur-Satiriker, denn viel zu sehr war er ein Künstler. In einem umfassenden Sinne. Er reüssierte als Schriftsteller, Sprecher, Schauspieler, Regisseur, Komponist, auch als Musiker; zuweilen zeichnete er sogar. Vor allem war er aber ein Freund. Mir, und den vielen anderen Mitstreitern und Menschen im Laufe eines langen Berufslebens auf den Brettern, die die Zeit bedeuten, wie sein Kollege Klaus Peter Schreiner, ehemals Chef-Autor der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, die Bühnen des kabarettistischen Geschehens bezeichnete. Er war stets ein politisch verlässlicher Freund. Ich erinnere mich der vielen Ereignisse über Jahrzehnte, bei denen Hanns Dieter immer ansprechbar war, wenn es um Mitwirkung ging, oder um inhaltliche Vorbereitungen, zusammen mit Walter Jens zum Beispiel, um nur einen Namen aus dem damals weiten Feld von Intellektuellen, Literaten, Künstlern und Musikern zu nennen, die sich in der Aktion für mehr Demokratie engagierten. Als Hanns Dieter Hüsch am 18. Januar 2001, dem hundertsten Geburtstag des deutschen Kabaretts, im Theatersaal der Akademie der Künste Berlin die Bühne betrat, von seiner Krankheit sichtlich gezeichnet, wurde er minutenlang mit Applaus bedacht, das Publikum erhob sich. Ein unvergesslicher, ein magischer Augenblick. Es sollte sein letzter Auftritt in der Hauptstadt gewesen sein. Seit einiger Zeit macht eine andere Einrichtung von sich reden, die eng mit Hanns Dieter Hüsch verbunden ist. Inmitten unserer durch Prosperität und Zweckmäßigkeit rasenden Republik gibt es einen einzigartigen Ort der inneren Einkehr für Gleichgesinnte. Dort begegnet man den Ehren-Büsten zweier herausragender Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie stehen einander gegenüber, schauen sich an, sind in ihrem eigenen Kosmos ganz augenscheinlich einer Meinung und wollen nichts mehr von unserer Welt wissen. Lasst uns in Ruhe, rufen sie von der Stele herab, um dann schnell wieder in gelöster Heiterkeit ihren Faden weiter zu spinnen: Hanns Dieter Hüsch und Dieter Hildebrandt, zwei Philosophen mit der Tiefenschärfe des genauen Wortes. Diesen stummen, unendlichen Diskurs führen sie im Zentrum des Deutschen Kabarettarchivs in Mainz, einer Haltestelle der Freunde, einem magischen Ort in der Bundesrepublik. Ich hatte die Freude und Ehre, zusammen mit Renate Küster-Hildebrandt, Ottfried Fischer und vielen anderen Wegbegleitern, die Enthüllung 2014 im Proviant-Magazin an der Schillerstraße in Mainz mitzugestalten. Dem Erinnerungs- und Bühnenprojekt UND SIE BEWEGT DICH NOCH! (das sage ich mir jeden Morgen selbst) wünsche ich so viel Aufmerksamkeit wie möglich. Genauso wie ich Hüschs Literatur Eingang in deutsche Schulbücher wünsche. Und mehr noch: Je älter Hanns Dieter wurde, desto jünger wurde sein Publikum. Zu seinen Abenden versammelten sich all diejenigen, die der Worthülsen überdrüssig waren und deren Sehnsucht nach dem verbindlichen Wort er eine Stimme gab. In den heiter-nachdenklichen Mienen dieser Hüsch-Gemeinde konnte man überdeutlich eine Botschaft an Politiker lesen: Studiert diesen Mann, erkennt ihn, seht, hört euch Hüsch an und Ihr wisst, wie man zu Menschen redet! Klaus Staeck Präsident der Akademie der Künste Berlin 11. März 2015