0

Gastspiel für Mickey Mouse

Georgische Poesie. Eine Anthologie

Erscheint am 25.03.2025
20,00 €
(inkl. MwSt.)

Noch nicht lieferbar

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783910948082
Sprache: Deutsch
Umfang: 120 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der Eiserne Vorhang hatte Löcher: Auch ins sowjetische Georgien tröpfelten die Lieder der Stones und Sinead OConnor, der Sex Pistols und Jethro Tull, Bilder von Wolkenkratzern und Marilyn Monroe auf Reklametafeln, Filmschnipsel und ein Hauch der Konsumwelt. Die offizielle Kulturpolitik versuchte den dekadenten Westen aus dem Leben ihrer Bürger fernzuhalten, gleichzeitig kam man nicht umhin, wenigstens in homöopathischen Dosen den westlichen Glamour zuzulassen, eine generöse Weltläufigkeit zu simulieren. Dieses dialektische Kulturdiaphragma hatte eine ganz eigenartige Wirkung auf die junge, widerspenstige Literatur: Wurde Pop aus ästhetischen und eskapistischen Gründen akzeptiert und geliebt, stand er gleichzeitig unter Verdacht, nur Beruhigungspille und ein neues falsches Versprechen (wie die frühsowjetische Avantgarde) einer vereinnahmenden Macht zu sein. Letztlich steht er aber bis heute - wenn junge Menschen mit Europafahnen auf den Straßen von Tblisi demonstrieren - für ein Gegenmodell zum sowjetisch-russischen Zwangssystem, das sich als Utopie längst erschöpft, das sich ebenso lange vom Versprechen einer materiell besseren Zukunft gelöst hat und nur noch von einer chauvinistischen nationalen Erzählung und deren lokalen Ablegern lebt. Die in Deutschland lebende georgische Lyrikerin Bela Chekurishvili hat 44 Gedichte zeitgenössischer Dichterinnen und Dichter unterschiedlichster Generationen ausgewählt, die dieses Spannungsfeld west-östlicher Begegnung vor der Folie des gewalttätigen 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts kritisch reflektieren.

Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
J & D Dagyeli Verlag GmbH
info@dagyeli.com
Muskauer Str. 4
DE 10997 Berlin

Leseprobe

Giorgi Shonia: 'My Way Für Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols' Meine Freundin hat Riesenbrüste und ein gutes Herz. Sie mag nicht mundgemachten Sex und nicht moderne georgische Poesie. Meine Gedichte mag sie auch nicht, dafür mag sie meine Küsse. Ganz ehrlich, im Küssen bin ich besser als im Schreiben. Sie meint, würde ich so gut schreiben wie ich sie küsse, also lernte, mich richtig auszudrücken, um andere heiß zu machen, dann käme der Nobelpreis auch zu mir. Ich glaube ihr und hänge an ihren Riesenbrüsten, die mich glauben lassen, dass Gott existiert und das ist wunderbar. Küss ich sie, kommt über mich der Heilige Geist und bläst mir mit weichen Flügelchen aus PVC davon die täglichen Nervenattacken und meine Neurose auf Nimmerwiedersehn. Leutselig werde ich und schicke Küsse via Fernsehbildschirm an die stumpf-stupiden Parlamentaristen und an die Neonazi-Journalisten des 'AsavalDasavali'Schmierenblatts und an die Mitstudenten von der Wirtschaftsfakultät, die mich meiner losen Sprüche wegen unbedingt verprügeln wolln. Doch ich bin stark, trotz meiner 63 Kilo, trotz trüber Augen und der Hühnerbrust. Ich bin bereit, mit allen offen zu reden, (weil ich weiß, dass ihnen Liebe fehlt, dass ihre Ladies nicht mit ihnen schlafen wollen, dass ihren Platz in der Gesellschaft sie nicht finden, dass sie [die meisten jedenfallls] verpeilt sind, ohne jeden Lebensplan). Doch jenen, die nie zuvor von natürlicher Auslese hörten, und auch nicht von Tristan Tzara oder Tony Kaye, sage ich, dass alle meine rotzigen Gigs, die ihren Frieden stören, aus meiner eigenen Schwäche, geknicktem Selbstvertrauen resultieren, ich habe gar nichts gegen diese Menschen, weil innerlich ich genauso friedlich und konfliktscheu bin wie Georgiens Präsident. Ich mach nicht einen auf Skandal, ich möcht nur manchmal mehr sein als irgend so ein Giorgi Shonia.