Beschreibung
Als der Bürgerkrieg in den 90er Jahren Bosnien heimsucht, flieht der junge Aleksandar mit seinen Eltern in den Westen. Rastlos neugierig erobert er sich das fremde Deutschland und erzählt mit unbändiger Lust die irrwitzigen Geschichten von damals, von der großen Familie und den kuriosen Begebenheiten im kleinen Visegrad. Aleksandar fabuliert sich die Angst weg und "die Zeit, als alles gut war" wieder herbei.Aleksandar wächst in der kleinen bosnischen Stadt Visegrad auf. Sein größtes Talent ist das Erfinden von Geschichten: Er denkt gar nicht daran, sich an die Themen der Schulaufsätze zu halten, viel zu verrückt sind die Erntefeste bei seinen Urgroßeltern, viel zu packend die Amokläufe betrogener Ehemänner und viel zu unglaublich die Geständnisse des Flusses Drina. Als der Krieg mit grausamer Wucht über Visegrad hereinbricht, hält die Welt, wie Aleksandar sie kannte, der Gewalt nicht stand, und die Familie muss fliehen. In der Fremde eines westlichen Landes erweist sich Aleksandars Fabulierlust als lebenswichtig: Denn so gelingt es ihm, sich an diesem merkwürdigen Ort namens Deutschland zurechtzufinden und sich eine Heimat zu erzählen. Seinen Opa konnte er damals nicht wieder lebendig zaubern, jetzt hat er einen Zauberstab, der tatsächlich funktioniert: seine Phantasie holt das Verlorene wieder zurück. Als der erwachsene Aleksandar in die Stadt seiner Kindheit zurückkehrt, muss sich allerdings erst zeigen, ob seine Fabulierkunst auch der Nachkriegsrealität Bosniens standhält.Mit "Wie der Soldat das Grammofon repariert" hat Sasa Stanisic einen überbordenden, verschwenderischen, burlesken und tragikomischen Roman über eine außergewöhnliche Kindheit unter außergewöhnlichen Umständen geschrieben, über den brutalen Verlust des Vertrauten und über das unzerstörbare Vertrauen in das Erzählen.
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Autorenportrait
Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Erzählungen und Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sasa Stanisic erhielt u.a. den Preis der Leipziger Buchmesse für 'Vor dem Fest' und zuletzt für 'Herkunft' den Deutschen Buchpreis 2019 sowie den Eichendorff-Literaturpreis und den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
Leseprobe
Wie lange ein Herzstillstand f?r hundert Meter braucht, wie schwer ein Spinnenleben wiegt, warum mein Trauriger an den grausamen Fluss schreibt und was der Chefgenosse des Unfertigen als Zauberer draufhat Opa Slavko ma?meinen Kopf mit Omas W?hestrick aus, ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier, und Opa Slavko sagte: eigentlich bin ich noch zu jung f?r so einen Quatsch und du schon zu alt. Ich bekam einen Zauberhut mit gelben und blauen Sternen, sie zogen gelbe und blaue Schweife, dazu schnippelte ich eine kleine Mondsichel und zwei Dreiecksraketen aus, eine flog Gagarin, die andere Opa Slavko. Opa, mit dem Hut lasse ich mich nirgendwo blicken! Das will ich hoffen! Am Morgen des Tages, an dessen Abend er starb, schnitzte mir Opa Slavko aus einem Ast den Zauberstab und sagte: im Hut und im Stab steckt eine Zauberkraft, tr?t du den Hut und schwingst du den Stab, wirst du der m?tigste F?gkeitenzauberer der blockfreien Staaten sein. Vieles wirst du revolutionieren k?nnen, solange es mit den Ideen von Tito konform geht und in ?ereinstimmung mit den Statuten des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens steht. Ich zweifelte an der Zauberei, aber ich hatte keine Zweifel an meinem Opa. Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der gr??e Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar, sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, merk dir das und denk dir die Welt sch?ner aus. Er ?bergab mir den Stab. Ich zweifelte an nichts mehr. Es ist ?blich, dass man hin und wieder wegen der Verstorbenen traurig wird. Bei uns findet das statt, wenn Sonntag, Regen, Kaffee und Oma Katarina zusammenkommen. Oma schl?rft dann aus ihrer Lieblingstasse, der wei?n mit dem Sprung im Griff, weint und erinnert sich an alle Toten und an die guten Dinge, die sie gemacht haben, bevor ihnen das Sterben dazwischenkam. Heute sind Familie und Freunde bei Oma, weil wir uns an Opa Slavko erinnern, der seit zwei Tagen vorl?ig tot ist, so lange, bis ich meinen Zauberstab und meinen Hut wiederfinde. Noch nicht gestorben in meiner Familie sind Mutter, Vater und Vaters Br?der ? Onkel Bora und Onkel Miki. Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, h? sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben ? sie ist taub wie eine Kanone und stumm wie Schneefall. Sagt man. Tante Gordana ist auch noch nicht gestorben, sie ist Onkel Boras Frau und schwanger. Tante Gordana, eine blonde Insel im dunklen Haarmeer unserer Familie, wird von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen und achtmal schneller l?t und vierzehnmal hektischer redet. Sie legt selbst die Strecke von der Klosch?ssel zum Waschbecken im Sprint zur?ck und hat an der Ladenkasse alles ausgerechnet, bevor es die Kassiererin eintippen kann. Alle sind wegen Opa Slavkos Tod zu Oma gekommen, reden aber ?ber das Leben in Tante Taifuns Bauch. Niemand zweifelt daran, dass Tante ihr Baby sp?stens am Sonntag, maximal am Montag bekommen wird, Monate zu fr?h, aber schon fertig wie im neunten. Ich schlage vor, das Baby Speedy Gonzales zu nennen. Tante Taifun sch?ttelt ihre blonden Locken: sindwirmexikaner? Wirdnm?henkeinemaus! Emawirdsiehei?n. Und Slavko, f?gt Onkel Bora leise hinzu, Slavko, wenn es ein Junge wird. Gro?und ?berall ist heute die Liebe f?r Opa Slavko, bei allen Schwarzangezogenen, die bei Oma Katarina Kaffee trinken und verstohlen zum Sofa sehen, auf dem Opa sa? als Carl Lewis in Tokio den Weltrekord aufstellte. Opa starb in 9,86 Sekunden, sein Herz lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Carl Lewis ? das Herz stand still, und Carl raste wie ein Wahnsinniger. Opa keuchte, und Carl riss die Arme in die Luft und warf sich eine amerikanische Fahne ?ber die Schultern Die Trauerg?e bringen Pralinen und W?rfelzucker mit, Cognac und Schnaps. Sie m?chten Omas Trauer mit S??m aufwiegen und trinken gegen ihre eigene an. Die m?liche Trauer riecht nach Rasierwasser. Sie steht in kleinen Runden in der K?che und betrinkt sich. Die weibliche Trauer Leseprobe
Schlagzeile
In der Auswahl zum Deutschen Buchpreis 2006