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Forschungsbetrug in der Medizin

Fakten, Analysen, Präventionsstrategien, Kultur der Medizin 40

Erschienen am 11.05.2015, 1. Auflage 2015
41,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593503271
Sprache: Deutsch
Umfang: 235 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Um das Ansehen von medizinischen Forschern ist es in der westlichen Welt nicht überall gut bestellt. In den 1990er-Jahren gelangte das Thema »Medizinischer Forschungsbetrug« erstmals in den USA in das öffentliche Bewusstsein. Eine Debatte um begünstigende Strukturen und denkbare Kontrollinstrumente zur Eindämmung von Missbrauch entbrannte - in Deutschland blieb ein solcher Diskurs bis zur Jahrhundertwende zunächst aus. Der Band nimmt wissenschaftlich arbeitende Ärzte, die ethischen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen, und das System, in dem sie arbeiten, in den Fokus. Stella Elaine Urbans Analyse von Betrugsfällen deckt wissenschaftsimmanente und individuelle Fallstricke auf, die unredliche Forschung begünstigen. Es zeigt sich, dass die wissenschaftliche Integrität unterstützt und geschützt werden muss, um das Vertrauen in die Medizin wiederherzustellen.

Autorenportrait

Stella Elaine Urban studierte Humanmedizin an der Universität Münster und arbeitet als Ärztin auf einer Stroke Unit in Friedberg.

Leseprobe

Vorbemerkungen Die in dieser Arbeit verwendete Literatur stammt überwiegend aus den vergangenen 15 Jahren. Die gesichteten Veröffentlichungen zeigen die Anfänge einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema wissenschaftlichen Forschungsbetrugs, ihren verschiedenen Aspekten und Hintergründen und den auffällig häufig übereinstimmenden ethischen Bewertungen und Positionen. Die im deutschsprachigen Raum veröffentlichte Literatur stellt sich relativ übersichtlich dar und hatte 1998 mit dem Bekanntwerden des größten deutschen Forschungsskandals der Mediziner Friedhelm Herrmann und Marion Brach ihren Höhepunkt. Seit 2005 nahmen die Publikationen zum Thema Forschungsbetrug jedoch wieder ab, zeitgleich mit der Prozessbeilegung des oben genannten Falles. Immer wieder wurde zwar in der Presse über neue Fälle von Forschungsbetrug berichtet, doch eine umfassende medizin- und wissenschaftsethische Auseinandersetzung wie in den USA löste dies nicht aus. Erschienene Monografien stammten nicht von Autoren mit medizinethischem Hintergrund, sondern von Journalisten. Deutschsprachige Publikationen zum Thema bleiben Kolibris. Umso mehr reizte mich das Thema, nachdem es mir von Frau Prof. Schöne-Seifert als mögliches Promotionsprojekt vorgestellt worden war. Eine mehrjährige Literatursichtungs- und Schreibphase begann. In der letzten Korrekturphase unterstützte mich meine Doktormutter, insbesondere die ethische Diskussion in Kapitel 3 betreffend, sodass auch ihre Formulierungen teilweise dort übernommen worden sind. Mit diesen Verwendungen hat sie sich ausdrücklich einverstanden erklärt. Veröffentlichungen, die nach dem 31. Dezember 2014 erschienen sind, wurden nicht mehr berücksichtigt. 1. Forschungsbetrug in der Medizin: Ein Spektrum an Beispielen Um das Ansehen der Wissenschaft und das Vertrauen in die Integrität von Forschern ist es gegenwärtig in der westlichen Welt nicht durchgängig gut bestellt. Wenn etwa der italienische Wissenschaftshistoriker Federico Di Trocchio den zeitgenössischen Wissenschaftler beschreibt, scheint die Zukunft nicht rosig für die Zunft von "Wahrheitssuchern und -findern", die der Welt neue Erkenntnisse bescheren und sie in ihrem Wissensdrang voranbringen: Di Trocchio spricht von einer "neuen Generation von gefühllosen, zynischen, amoralischen jungen Wissenschaftlern, in deren Wirkungskreis offenkundig die Rücksichtslosigkeit und die technische Raffinesse der Geschäfts- und Industriewelt Einzug gehalten hat." (Di Trocchio 1994). Zunehmend wird über betrügerisches Verhalten von Forschern berichtet. Seit den 1990er Jahren gelangte das Thema "Forschungsbetrug" insbesondere im amerikanischen Raum in das öffentliche Bewusstsein, nahm seine Anfänge jedoch bereits in den 1970er Jahren, so auch in den skandinavischen Ländern (Finetti/Himmelrath 1998, 32). Eine Debatte um begünstigende Strukturen und mögliche Kontrollinstrumente entbrannte. In Deutschland blieb eine umfassende Diskussion innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft - abgesehen von Veröffentlichungen aus juristischer Sicht von Albin Eser (1993) und Stefanie Stegemann-Boehl (1994) und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) (1997) und vereinzelten Veranstaltungen an Universitäten - zunächst aus. Dies wurde von einzelnen bemängelt (Eser 1993, 77; ebd. 1996, 2), ansonsten aber scheinbar ignoriert. Entstanden unter dem Eindruck des wohl bislang größten deutschen Forschungsbetrugsfalls von Medizinern (Herrmann/Brach-Fall) veröffentlichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 1998 ihre Denkschrift "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" (überarbeitete Auflage: DFG 2013a) sowie populärwissenschaftlich Marco Finetti, aktuell Pressesprecher der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Journalist Armin Himmelrath ihr Werk "Der Sündenfall" (Finetti/Himmelrath 1999). Die Illusion einer vollkommen redlichen Wissenschaftswelt zerplatzte. Doch was ist 15 Jahre später aus den Erkenntnissen der Vergangenheit gemacht worden? Diese Arbeit konzentriert sich in ihrer Auseinandersetzung auf wissenschaftlich arbeitende Ärzte, die ethischen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen und das System in dem sie arbeiten. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen Wissenschaftsgebieten und doch zwei Unterschiede. Der Vertrauensverlust und die Einbuße an Integrität wiegen, wie gezeigt werden wird, in dieser Fachgruppe schwerer als in anderen Scientific Communities. Zudem besteht ein großes öffentliches und auch politisches Interesse hinsichtlich dieses Fachbereichs: Die Ausgaben der DFG für Projekte im Bereich Medizin beliefen sich 2008 auf 380,2 Millionen Euro und 2011 bereits auf 512,2 Millionen Euro. Damit ist die medizinische Forschung der am meisten durch die DFG geförderte Bereich (DFG 2011a, 168). Die Fragen, die sich daher dringlich stellen und die diese Arbeit zu beantworten sucht, sind vor allem: Welche Formen von Forschungsbetrug kommen vor? Welche Entwicklungen innerhalb der Wissenschaft, welche Situationen und welches Klima begünstigen derartiges Fehlverhalten? Welche Programme sind bislang initiiert worden, um wissenschaftliche Unredlichkeit einzudämmen und was könnte darüber hinaus getan werden? Insbesondere geht es um eine Präzisierung der ethischen Forderungen, die an wissenschaftlich tätige Mediziner gestellt werden und die sich auch im Selbstanspruch der Scientific Community finden lassen. Die im deutschsprachigen Raum vorzufindende Literatur stellt sich bislang übersichtlich dar: Marco Finetti und Armin Himmelrath können mit ihrem oben genannten Werk sicherlich als Wegbereiter in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Forschungsbetrug in Deutschland angesehen werden. Eine umfassende Arbeit lieferte auch die Philosophin Yu-Li Liang (2007). Diese beiden seien stellvertretend für einige andere Autoren genannt, die ebenfalls in dieser Arbeit vorgestellt werden. 1.1 Internationale Fälle von Forschungsbetrug Das System Wissenschaft wächst (siehe Fußnote 79): Im Jahr 2012 wurden jährlich weltweit mehr als eine Millionen medizinischer Fachartikel in mehr als 20.000 Zeitschriften veröffentlicht (Bartens 2012, 33). Auch die Zahl der tätigen Wissenschaftler nimmt zu (BMBF 1997, 236-238). Eine Kontrolle dieses expandierenden wissenschaftlichen Betriebes erscheint immer schwieriger (Bartens 2012, 33). Seit der Jahrtausendwende sind es drei bedeutende Fälle, die in Erinnerung bleiben werden, weil ihr Ausmaß demonstriert, welche Konsequenzen die Datenfälschung und die Skrupellosigkeit von Wissenschaftlern in der medizinischen Forschung haben kann. Der erste Fall erregte 1999 in Deutschland das öffentliche Interesse (Herrmann/Brach-Fall), die anderen beiden trugen sich im Jahre 2005 in Norwegen (Sudbø-Fall) und Südkorea (Hwang-Fall) zu. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Forschungsbetrug erreichten in den darauffolgenden Jahren einen vorläufigen Höhepunkt. Wusste man in den 1960er Jahren nur von einzelnen Verstößen von Wissenschaftlern, bildeten schließlich immer mehr dokumentierte Fälle - insbesondere in den Biowissenschaften und der Medizin (Fischer 2004; Fanelli 2009, 1) - die Basis einer Diskussion um die Prinzipien redlichen wissenschaftlichen Arbeitens (Riis 2001, 12). An dieser Debatte waren nicht nur die Mitglieder der Forschergemeinschaft beteiligt, sondern auch Interessenvertreter aus Wirtschaft und Politik. Seit den 1990er Jahren wird verstärkt nach Wegen gesucht, um wissenschaftliches Fehlverhalten einerseits gezielter zu entdecken und andererseits durch präventive Maßnahmen zu verringern. Nicht zuletzt wurde der Frage nach dem Entstehungskontext von Forschungsbetrug nachgegangen. Im Folgenden werden einige ausgewählte Fälle skizziert, die sich in der biomedizinischen Forschung zugetragen haben. Sie stehen exemplarisch für viele Fälle, die tatsächlich aufgedeckt wurden, und für all jene, die bisher noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie mit dem...