Beschreibung
Eines der meistgelesenen deutschen Blogs Die Abschaffung der Vorhölle, Backwaren ohne Umlaute oder der massive Murmeltierüberschuss in Südtirol: Es gibt keinen Aspekt unserer sich rasant wandelnden Welt, dem sich das Weblog Riesenmaschine nicht widmet - immer witzig-pointiert, aber keinesfalls strikt kultur- und konsumkritisch. Mehr als 100.000 Zugriffe verzeichnet die Riesenmaschine pro Monat. Nun belohnt sie ihre Leser mit einer Sammlung der 100 gelungensten Beiträge. "Grimme Online Award" 2006 "BachmannPreis" 2006 für Mitherausgeberin Kathrin Passig
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Leseprobe
Früher, als man noch an Unis studierte, gab es in den Bibliotheken eine Abteilung, die sich »Handapparat« nannte. Sie machte ihrem Namen keine Ehre: Es waren düstere Regalmeter voll unhandlicher Aktenordner mit leeren Klarsichthüllen. Die darin ursprünglich enthaltenen Kopiervorlagen waren geklaut von Leuten, die das Kleingeld für die Kopierer nicht investieren wollten. Dann kam das Internet, und alles wurde besser. Man musste überhaupt nicht mehr an Universitäten gehen, wenn man etwas über Dinge lernen oder herausfinden wollte. Und wenn doch, fand man alles online, was man brauchte, um sich seinen Weg durchs Seminar freizubluffen. Das Tolle am Internet war aber nicht nur, dass man sich Sachen herunterladen konnte. Man konnte es auch selbst vollschreiben. »Mit dem Schreiben am Computer und dem Verschwinden des letzten Rests an Stofflichkeit sind sie der eigentlichen Substanz, dem Geist, ein wichtiges Stück nähergekommen«, hatte Peter Glaser schon 1996 hellsichtig in einem Essay anlässlich der Verleihung des ersten deutschen Internet-Literaturpreises notiert, mündend in die Zielvorgabe: »Nun schreiben sie mit Licht«. Aber Zeichen und Wunder dauern bekanntlich etwas länger, zumal bei Menschen, die das produktive Prokrastinieren im Hauptfach studiert und später zum Beruf gemacht haben. Daher dauerte es knapp zehn Jahre, bis in einer Kreuzberger Remise die Riesenmaschine das Licht des Internets erblickte. Zwar hatte es die Riesenmaschine auch schon 1996 gegeben: als Rubrik in dem von Martin Baaske und Holm Friebe in Münster produzierten Fanzine »Luke & Trooke«. Allerdings war man damals noch zu stark der Handapparat-Logik des papierraschelnden Säkulum verhaftet, was auch bedeutete, kistenweise Hefte von der AStA-Druckerei abzuholen, sie mühsam in die diversen Buchläden des Uni-Städtchens zu tragen und die unverkauften Exemplare Monate später gegen neue auszutauschen. Für die an sich banale Erkenntnis, dass man ein Fanzine heutzutage organischer und ökonomischer im Internet betreiben kann, brauchte es zwei Umzüge nach Berlin und das kompromisslose Technik-Regime von Kathrin Passig. Es brauchte das organisatorische Hinterland der Zentralen Intelligenz Agentur, die als ortlose Firma gerade den Badesee als verlängerte Werkbank entdeckt hatte, sowie den Sommer 2005, der zwar nicht ganz an die legendären Rekordsommer von 1947 und 2003 heranreichte, aber mit gemessenen 32 Tagen über 30 Grad immerhin Supersommer wie die von 1976, 1983 oder 1991 in den Schatten stellte. Diese aufgeheizte Inkubator-Situation diente als Brutstätte für die Riesenmaschine. Mit der WortBildMarke, die als typografisches Fundstück unverändert von Print nach digital übernommen wurde, hatten wir uns gleichzeitig die redaktionelle DNA eingehandelt. Das Logo ist der herauspräparierte Teil einer Überschrift eines Beitrages des Jahrbuchs »Das neue Universum« aus den späten 1950ern, in dem es um neue Grossgeneratoren ging. Die vollständige Zeile lautete »Riesenmaschinen stillen Stromhunger«. Das Jahrbuch selbst, 1880 angetreten, um jährlich die »interessantesten Entdeckungen und Erfindungen auf allen Gebieten« zu versammeln und »besonders für die reifere Jugend« aufzubereiten, hatte in jener Zeit gerade einen inhaltlichen und formalen Zenit erreicht, bevor es zur Jahrhundertwende hin in der Bedeutungslosigkeit verläpperte. Umweltverschmutzung und Hippies gab es noch nicht, trotz Atombombe und Hornbrillen waren es die Ingenieure, denen man zutraute, die Welt zu retten und das Weltall zu einem besseren Ort zu machen. Technische Lösungen für soziale Probleme, das war der Geist der Stunde. An diesen ungebrochenen Fortschrittsoptimismus mussten wir anknüpfen. Dies zu befördern gab es im Berlin der Nuller Jahre niemand Geeigneteren als Sascha Lobo, der als illustrer Widergänger Filippo Tommaso Marinettis den Futurismus in seiner ursprünglichen, auf Eskalation und Akzeleration gepolten Form exakt hundert Jahre später wiederzubeleben versuchte. Als Kultusminister im t Leseprobe