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Schatten über dem Hudson

Roman

Erschienen am 13.03.2000
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446198524
Sprache: Deutsch
Umfang: 648 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 21.5 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein gewöhnlicher Abend an der New Yorker Upper West Side: Freunde und Verwandte, allesamt Überlebende des Holocaust, debattieren über Gott und die Welt. Doch an diesem Abend nimmt das Schicksal von Anna Makaver und Hertz Grein, dem einstigen Talmudgelehrten und derzeitigen Börsenmakler, eine entscheidende Wendung: Beide verlassen ihre alten Partner und wollen in Florida ein neues Leben beginnen. Doch die Schatten der Vergangenheit holen sie ein.

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DE 81679 München

Autorenportrait

Isaac Bashevis Singer wurde 1904 in Radzymin (Polen) geboren und wuchs in Warschau auf. Er erhielt die traditionelle jüdische Erziehung und besuchte ein Rabbinerseminar. Mit zweiundzwanzig Jahren begann er Gedichte zu schreiben, zunächst auf hebräisch, dann auf jiddisch. 1935 emigrierte er in die USA. Im Jahr 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Singer starb 1991 in Surfside, Florida.

Leseprobe

Kurz vor Tagesanbruch hatte es noch einmal geschneit; der Morgen aber war frostklar, und es schien die Sonne. Sie schien in das unwirtliche Hotelzimmer und tauchte die zerknautschten Bettücher, den abgetretenen Teppich und die faltige Tapete in ihr warmes Licht. Sie ließ Annas Gesicht leuchten, ihre Augen, jeden einzelnen Silbertupfen auf ihrem Samthütchen. Anna saß fix und fertig angezogen im Sessel, sogar den Mantel und die Überschuhe hatte sie schon an. Grein, auch er in Hut und Mantel, lümmelte auf dem Bett. &34;Ja, wir müssen es tun&34;, sagte er zu Anna. &34;Wo steht denn geschrieben, daß wir unser ganzes Leben lang unglücklich sein sollen? Zusammen können wir glücklich werden. Daran hab ich jetzt überhaupt keinen Zweifel mehr.&34;
Anna schwieg einen Moment, und dann sagte sie: &34;Du bist mein Mann, und ich bin deine Frau. Auf der ganzen Welt gibt es keinen Menschen, der mir nähersteht als du. Du und Papa.&34;
Wieder schwieg sie kurz, um dann hinzuzufügen: &34;Bestimmt hat Luria bei ihm angerufen. Bestimmt verflucht mich Papa jetzt, in diesem Augenblick, mit den bittersten Verwünschungen. Aber er wird sich schon wieder beruhigen. Er hat ja gestern noch gesagt, er liebt dich wie seinen eigenen Sohn. Wenn Papa so was sagt, dann meint er es auch. Wer sich nicht wenigstens ein bißchen im Talmud auskennt, der ist für ihn nur ein halber Mensch. Und noch etwas: du bist fromm, wenn auch auf deine Weise; Luria aber prahlt ständig mit seiner Ungläubigkeit.&34;
&34;Das, was wir getan haben, ist aber nicht gerade fromm.&34;
&34;Stimmt, aber wir heiraten ja. Mit Gewalt man kann niemanden festhalten. Papa ist reich, viel reicher, als du ahnst, und alles, was er hat, gehört uns. Wir können viele Jahre lang zusammen glücklich sein.&34;
Grein stand auf. Auch Anna erhob sich, und sie fielen einander um den Hals und küßten sich lange und leidenschaftlich. Mit weit geöffnetem Mund verbiß sich Anna in Grein wie ein gefräßiges Tier, das schlingt und schlingt und nie genug kriegen kann. Und auf einmal war ihre Müdigkeit wie weggeblasen, und sie standen da, aneinandergelehnt, in sich gekehrt, ganz von ihrer Lust verzehrt. Und während Grein Anna so umschlungen hielt, staunte er über sich selber. Jedesmal wieder war ihm die sexuelle Erregung ein Rätsel, erfaßte sie den Menschen doch von innen und außen zugleich. Sie zehrte alle seine Kräfte auf; ihm war, als würde der Mensch durch sie eins mit dem Ding an sich, dem Wesen allen Seins, das unter der äußeren Hülle der Illusionen verborgen lag.
Anna mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um an Grein heranzureichen. Er beugte sich zu ihr hinunter. Eine Zeitlang hatte er das schmutzige Zimmer vergessen, die schlaflose Nacht und auch, daß er sich versündigt hatte an ihrem Mann, ihrem Vater, seiner Familie, an Esther. Der Körper folgte seinen eigenen Gesetzen, und er tat es auf seine Weise. Die ganze Nacht hatten sie einander besessen, und nun kam das Begehren schon wieder über sie. Anna riß sich von ihm los; grell, wie eine Wunde, waren ihre aufgesprungenen roten Lippen. Sie erinnerte Grein an eine Löwin im Zoo, die einen Moment lang abläßt von dem rohen Fleischbrocken, den man ihr hingeworfen hat, und ihre blutverschmierten Lefzen zeigt. Sie sah ihn an mit einem Blick, in dem die ganze Glut der Liebe loderte.
&34;Wir können hier nicht bleiben!&34;
Grein kam es so vor, als läge in ihren Worten eine geheime Bedeutung verborgen, als wollte sie in Wirklichkeit sagen: Wir müssen von selber fortgehen aus diesem Paradies, bevor sie uns daraus vertreiben. Er schwieg und wartete, bis das Verlangen in ihm zur Ruhe kam. Sie sahen einander an, ängstlich und bekümmert, wie zwei Geschöpfe, die durch und durch voneinander abhängig geworden sind.
&34;Was willst du tun?&34; fragte er.
&34;Du wirst es nicht glauben, aber ich habe Hunger - schrecklichen Hunger.&34;
&34;Bei dir ist immer alles schrecklich. Komm, du kriegst gleich was zu essen.&34;
&34;So, was denn? Ach, ... Leseprobe