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Ein Bräutigam und zwei Bräute

Geschichten

Erschienen am 15.03.2004
17,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446204676
Sprache: Deutsch
Umfang: 216 S.
Format (T/L/B): 2 x 21 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Neues vom Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer: 27 Geschichten des großen Erzählers liegen hier erstmals auf Deutsch vor. So erzählt er von einem Handwerker, der eine Prostituierte heiraten will, oder von einem armen Klempner, der alles dafür gibt, um aus seinem Sohn einen Rabbi zu machen. Ein faszinierendes Bild der untergegangenen Welt des Ostjudentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

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DE 81679 München

Autorenportrait

Isaac Bashevis Singer wurde 1904 in Radzymin (Polen) geboren und wuchs in Warschau auf. Er erhielt die traditionelle jüdische Erziehung und besuchte ein Rabbinerseminar. Mit zweiundzwanzig Jahren begann er Gedichte zu schreiben, zunächst auf hebräisch, dann auf jiddisch. 1935 emigrierte er in die USA. Im Jahr 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Singer starb 1991 in Surfside, Florida.

Leseprobe

Ein Stück Finsternis Die Tür ging auf, und eine alte Frau mit Stock trat ein. Sie war nicht weiß, sondern schwarz: Sie trug eine zottelige schwarze Frauenperücke, hatte ein dunkles, runzliges Gesicht, schwarze Augen, ein schwarzes Bärtchen an der Spitze ihres vorstehenden Doppelkinns - und sie trug ein schwarzes Umschlagtuch und ein so langes schwarzes Kleid, daß es den Boden hinter ihr zu fegen schien. Mit hohem Alter verbindet man gewöhnlich Ruhe und Frieden, aber bei dieser Frau hatte es etwas Finsteres, Hexenhaftes. Überall sprossen ihr Barthaare und Warzen. Sie hatte jedoch ein jüdisches Anliegen. Sie sei alt, sagte sie. Sie hatte ein wenig Geld gespart, das sie bei Lebzeiten nicht aufbrauchen würde. Da sie kinderlos war, wollte sie einen achtbaren Mann verpflichten, der eines Tages zu ihrem Andenken Kaddisch sagen würde. Sie schlug vor, mein Vater solle das tun, und war bereit, ihm einen Vorschuß von hundert Rubeln zu geben. Der Rest sollte nach ihrer Beerdigung gezahlt werden. Wir hätten das Geld gut gebrauchen können, aber mein Vater lehnte ab. Er sagte, niemand wisse, was morgen sei. Wie könne er da Geld von ihr annehmen? Niemand habe einen Vertrag mit dem Allmächtigen. Ich spürte, daß Vater noch andere Bedenken hatte. Er wollte nicht vom Tod eines anderen profitieren, selbst wenn es der einer alten Frau war. Die ganze Sache war ihm zuwider. Doch die alte Frau ließ nicht locker. Wenn der Rabbi ihr nicht helfen könne, wer dann, forderte sie laut und pochte mit dem Stock. Vater überlegte, wer diese Aufgabe übernehmen könnte, und fand rasch den rechten Mann. Im Bethaus gab es einen kleinen Mann mit grauem Bärtchen, frischer Gesichtsfarbe und jungen Augen. Obwohl nicht mehr der Jüngste, hatte er noch immer einen munteren Gang. Er trank oft, dachte sich Geschichten aus und machte seine Späßchen. Ganz offensichtlich war er gesund, Gott sei Dank, und würde noch viele Jahre zu leben haben. Er war ein kleiner Krämer gewesen, doch jetzt unterstützte ihn sein Schwiegersohn, ein wohlhabender Obstgroßhändler. Vater ließ den Mann holen. Als er ihm die Bitte der Alten vortrug, war der Mann sofort einverstanden. Er rieb sich die geröteten Hände und sagte: 'Warum nicht? Kaddisch ist Kaddisch.' Die Alte starrte ihn finster an. Ihre schwarzen Augen schienen sich in ihn hineinzubohren, um seine innersten Geheimnisse zu ergründen. Nach einem kurzen Augenblick rief sie: 'Er soll bei dem Totengebet für mich auch Vorbeter sein.' 'Warum nicht? Ich mache den Vorbeter.' 'Ein ganzes Jahr lang!' stieß die Alte zornig hervor.'Gewiß, das ganze Jahr hindurch.' 'Und an meinem Todestag soll ein Jahrzeitlicht für mich entzündet werden, und Sie müssen die Mischna studieren.' 'Die Mischna studiere ich sowieso.' 'Ich will einen Vertrag und einen Handschlag.' Hier schaltete Vater sich endlich ein: 'Wir können eine schriftliche Vereinbarung treffen, aber ein Handschlag ist nicht nötig. Wenn ein Jude ein Versprechen abgibt, hält er sein Wort, so Gott will.' 'Sie, Rabbi, würden Ihr Versprechen halten, aber ihm traue ich nicht!' erklärte die Frau mit einer Heftigkeit, die ihr Alter Lügen strafte. 'Wenn Sie ihm nicht trauen, hat es keinen Sinn', sagte Vater. 'Bei einer solchen Sache muß man darauf vertrauen, daß der andere Wort hält.' 'Rabbi, Ihnen vertraue ich.'Der grauhaarige Mann stand die ganze Zeit dabei, und seine Miene sagte: Wie immer es läuft, ich kann gut ohne diese Frau auskommen. Er trug einen wattierten grauen Kaftan, eine Plüschkappe, ein rotes Halstuch und Lederstiefel, die unverwüstlich aussahen. Seine von Äderchen überzogenen roten Wangen zeigten deutlich, daß er gerne trank und voller Lebenssaft war. Er holte eine Schnupftabakdose heraus, schüttete sich eine Prise in die Hand und zog sie durch seine behaarten Nasenlöcher tief ein. Er nieste nicht einmal. Wir Chederschüler sagten immer, nicht zu niesen sei ein sicheres Zeichen, daß der Tabak direkt ins Gehirn ging. Schließlich setzten sie einen Vertrag auf, und der Mann unters Leseprobe