Beschreibung
Der XIV. Dalai Lama ist einer der beliebtesten und am meisten geachteten Menschen der Welt. Er wird als Gott verehrt und sieht sich selbst doch als normaler Mensch. Er ist ein religiöser Führer und warnt davor, sich von Religionen verwirren zu lassen. Er ist der bekannteste Buddhist der Welt und ermutigt Nicht-Buddhisten, dem Weg ihrer eigenen Religion zu folgen. Er tritt für den Frieden mit China ein und wird von den Chinesen trotzdem als Feind bekämpft.
Pico Iyer beleuchtet die verschiedenen, einander scheinbar widersprechenden Facetten des Dalai Lama. Unter den vielen Büchern vom und über den Dalai Lama gibt es keines, das an literarischer Dichte, Scharfblick und gedanklicher Eigenständigkeit mit diesem vergleichbar wäre. Wer es liest, beginnt den Sinn, die Tragik und Gnade jener ''globalen Reise'' zu begreifen, die den Bauernsohn Tenzin Gyatso auf die Bühne der großen Politik führte - und in die Herzen von Millionen Menschen in aller Welt.
Der Top-Journalist Pico Iyer schreibt vor dem Hintergrund von 30 Jahren Freundschaft mit dem Dalai Lama.
Leseprobe
Im November 2007, wenige Tage vor Abschluss des Buches, das Sie gerade zu lesen beginnen, begleitete ich den 14. Dalai Lama wieder einmal auf einer Rundreise durch Japan. Tag für Tag, von dem Augenblick an, wo er im Morgengrauen von seinen Meditationen aufstand und sich der Welt zuwendete, bis zum frühen Abend, wenn er in sein Zimmer zurückkehrte, war ich an seiner Seite und beobachtete seinen unvorstellbar vielschichtigen Lebensalltag: wie er sich in verschiedenen Gegenden Japans mit buddhistischen Priestern, Anhängern der Shingon-Schule oder den geistlichen Oberhäuptern der Shugendo-Sekte traf, einer japanischen Jugendzeitschrift ein Interview gab, mit fünf tibetischen Studenten sprach, die irgendwo auf einem Bahnsteig auf ihn gewartet hatten, um ihn zu begrüßen, im Hochgeschwindigkeitszug zwei Interviews über politische Fragen gab und sich dann bei seiner Ankunft in Yokohama wieder auf Termine völlig anderer Art konzentrierte - Gespräche mit Wissenschaftlern, Treffen mit den Organisatoren einer buddhistischen Konferenz, Unterhaltungen mit Vertretern der japanischen Medien und schließlich eine herzergreifende Begegnung mit einigen Chinesen aus der Volksrepublik, Buddhismusstudenten, die zu weinen begannen, sowie er ins Zimmer kam, und sich vor ihm niederwarfen, als er sich erbot, ihnen Rat in buddhistischen Fragen zu geben. »Da China ein Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft sein will«, sagte er irgendwo auf seiner Reise durch den randvollen Tagesplan, »hat die Weltgemeinschaft die Verantwortung, China entsprechend einzubinden.« Der ganze Erdball, betonte er, würde von einem friedlichen, einigen China profitieren. Und dann setzte er ebenso überraschend wie geschickt hinzu: »Präsident Hu Jintaos Slogan einer >harmonischen Gesellschaft findet meine volle Unterstützung! Aber echte Harmonie kommt aus dem Herzen. Sie kann nicht durch Gewehrläufe erzwungen werden.« Das alles sagte er, obwohl ihm - wie den meisten Beobachtern Tibets und Chinas - vollkommen klar war, dass wenig später, im Frühling 2008, in den Monaten vor den Olympischen Spielen in Peking die Tibeter, denen die Grundrechte der Rede- und Denkfreiheit versagt sind, versuchen würden, durch alle Medien und Kanäle Informationen über ihre leidvolle Situation zu verbreiten, da dann die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ohnehin auf China und die von ihm besetzten Gebiete gerichtet war. Zum 49. Jahrestag des sogenannten Tibetaufstands am 10. März hielt der Dalai Lama in Dharamsala wie immer (und wie in diesem Buch beschrieben) eine kurze Ansprache zur Lage der Nation, und zur gleichen Zeit versammelten sich in Lhasa Mönche zu einer friedlichen Demonstration. Wenig später kam es zu gewalttätigen Demonstrationen, die ganz China erfassten, und bald nahm die ganze Welt für kurze Zeit am tibetischen Freiheitskampf teil. Obwohl immer mehr Exiltibeter in Dharamsala bewaffnete Kampfaktionen und Gesten des Widerstands gegen die Chinesen forderten, begann der Dalai Lama - fast genauso, wie im Kapitel »Der Politiker« beschrieben - nach den blutigen Ausschreitungen mit seinen üblichen Gebeten, wies darauf hin, dass etliche Chinesen bei den Krawallen zu Schaden gekommen seien, betonte, wie wichtig der Dialog sei statt eines offenen Konflikts, und riet zu Toleranz und Langmut. Tibet brauche China ebenso sehr, wie China Tibet brauche, sagte er,- Toleranz hieße zwar nicht, alles gutzuheißen, was unrecht sei, aber sie entspringe der Erkenntnis, dass wir alle gemeinsam eine Gemeinschaft von Nachbarn bilden und dass es unter Umständen schreckliche, irreparable Folgen hat, dem Nachbarn voller Ungeduld ein Fenster einzuwerfen, weil dadurch denen, die ohnehin schon zu viel gelitten hätten, noch mehr Leid aufgebürdet würde. Plötzlich waren die Fragen, die ich in diesem Buch angeschnitten habe und die den Dalai Lama zu einem so realistischen - und wenn man so will radikalen - Politiker machen, in aller Munde, wurde auf der ganzen Welt die gleiche Diskussion entfacht, und viele M Leseprobe