Beschreibung
Ein Leben, das die Geschichte unseres Jahrhunderts erzählt. Aus einer alten, bürgerlichen Familie stammend, wächst die junge Laura in ein neues, unsicheres Mexiko, dessen Weg so wechselvoll verläuft wie Lauras Leben - bis in unsere Tage. Mit diesem Roman krönt Carlos Fuentes sein literarisches Werk. In Spanien gleich nach Erscheinen ein Bestseller, wurde 'Laura Díaz' von El País zu dem spanischsprachigen Roman des ausgehenden Jahrhunderts erklärt.
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Catemaco: 1905 Manchmal läßt sich die Erinnerung wie mit Händen greifen. Die am häufigsten erzählte Familiensage hatte mit dem Mut von Großmutter Cósima Kelsen zu tun, als sie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach México-Stadt fuhr, um die Möbel und die Ausstattung für ihr Haus in Veracruz zu kaufen, und als auf der Rückfahrt die Postkutsche, in der sie reiste, von Banditen angehalten wurde, die noch die malerische Volkstracht der Chinacos trugen - breitkrempiger runder Hut, kurze Wildlederjacke, Hosen mit weiten Beinen, Kurzschaftstiefel und Sonorenser Sporen. Alles mit Knöpfen aus Altsilber besetzt. Cósima Kelsen schilderte lieber diese Art Einzelheiten, als über das eigentliche Ereignis zu berichten. Was die Darstellung der kleinen Geschichte noch anschaulicher werden ließ und dadurch noch unglaublicher und außerordentlicher, so altvertraut sie uns auch vorkam, wurde sie doch von etlichen Stimmen erzählt und ging - man lasse die Redundanz gelten - von Hand zu Hand, denn um Hände (oder vielmehr um Finger) ging es in ihr. Die Postkutsche wurde an jener seltsamen Stelle angehalten, die El Cofre de Perote heißt und wo der Reisende nicht hinauf in den Dunst gelangt, sondern aus klarer Berghöhe hinab in einen Nebelsee steigt. Die in Rauch gehüllte Gruppe der Chinacos erschien unter Pferdegewieher und Pistolendonner. 'Geld oder Leben' war ja eigentlich das Losungswort, diese Banditen aber waren origineller und verlangten: 'Leben oder Leben', als verstünden sie scharfsinnig den stolzen Seelenadel und die unbeugsame Würde, die die junge Doña Cósima ihnen von Beginn an zeigte. Nicht einen Blick gönnte sie ihnen. Der Anführer der Bande, ein früherer Hauptmann des geschlagenen kaiserlichen Heeres Maximilians, hatte lange genug mit dem Hof von Chapultepec zu tun gehabt, um auf soziale Unterschiede zu achten. Zwar war er in der Gegend von Veracruz wegen seiner sexuellen Gelüste berühmt - man nannte ihn den 'Protz von Papantla' -, aber er wußte doch treffsicher zwischen einer Señora und einem leichten Mädchen zu unterscheiden. Den ehemaligen Kavallerieoffizier hatte die Niederlage des Kaisers, die schließlich zur Erschießung von Maximilian, Miramón und Mejía führte, zum Banditentum gezwungen. 'Die drei M's, mierda!' rief der abergläubische mexikanische Condottiere manchmal. Der Respekt, den er vornehmen Damen erwies, stellte sich unwillkürlich bei ihm ein; der Räuber wußte genau, was er der jungvermählten Doña Cósima zu sagen hatte, die zuerst seine wie Kupfersulfat glänzenden Augen sah und dann die rechte Hand ostentativ ans Kutschenfenster legte. 'Bitte, Señora, geben Sie mir Ihre Ringe.' Die Hand, die Cósima herausfordernd aus der Kutsche streckte, glänzte im Schmuck eines Goldreifs, eines augenblendenden Saphirs und eines perlenbesetzten Rings. 'Das sind mein Verlobungsring und mein Trauring. Die muß man mir erst abschneiden.' Genau das tat der fürchterliche kaiserliche Chinaco, ohne lange zu zögern, als folgten beide dem entsprechenden Ehrenkodex: Mit einem Machetenhieb schnitt er der jungen Großmutter Doña Cósima Kelsen die vier hervorstehenden Finger der rechten Hand ab. Sie sträubte sich nicht. Der ungestüme kaiserliche Offizier nahm das rote Tuch herunter, das er nach altem Chinaco-Brauch um den Kopf geschlungen hatte, und bot es Cósima an, damit sie sich die Hand verbinden konnte. Er ließ die vier Finger in seinen Hut fallen und stand wie ein hochmütiger Dieb da, mit den Fingern der schönen Deutschen als Almosen. Als er sich schließlich den Hut wieder aufsetzte, rann ihm das Blut übers Gesicht. Dieses rote Bad wirkte bei ihm so natürlich wie bei anderen ein Kopfsprung in einen See. 'Danke', sagte die junge und schöne Cósima und blickte ihn ein einziges Mal an. 'Wünschen Sie noch etwas?' Als Antwort versetzte der Protz von Papantla dem nächststehenden Kutschpferd einen Peitschenhieb auf die Kruppe, und die Postkutsche rollte bergab, dem heißen Küstenland von Veracruz jenseits der Gebirgsnebel e