Beschreibung
Sie träumte von Neugierde. Nicht von jener unruhigen Neugierde vor dem Zerreißen des Geschenkpapiers an Weihnachten, sondern dem tief empfundenen Wunsch nach Erkenntnis. Wie immer speiste sich diese Begierde, die eigentlich viel mehr ein Drang war, aus einer einzigen Faszination: den Sternen. Sie lagen ausgebreitet vor ihr, ein funkelndes Meer der Stille. Ihr Geist war weit, so sehr, dass seine Grenzen verschwammen. Das myriadenfache Leuchten veränderte sich, wurde zu einem komplexen Puzzle aus Photonen, die Wärme am Rande des Messbaren in das kalte Vakuum sandten. Sie waren die Boten der Vergangenheit, Relikte von Sternen, die seit Jahrtausenden, vielleicht Jahrmillionen ihren Wasserstoffvorrat verbraucht hatten. Wie ein kosmischer Atemzug hatten sie sich zu roten Riesen ausgedehnt und waren zu weißen Zwergen zusammengefallen, ehe sie zu kalten Gebilden ohne Leuchtkraft schrumpfen mussten und die letzten Photonen sie verließen. Doch nichts starb je wirklich, und so reisten die masselosen Elementarteilchen als Botschafter ihres einstigen heißen Ursprungs durch die kosmische Leere und trafen hier und jetzt auf ihre unsichtbare Netzhaut, um ihr das einschüchternd allumfassende Gebilde des Sternenpanoramas zu offenbaren. Ein Bild für den Augenblick, flüchtig an Ort und Stelle, beständig in der Unendlichkeit von Raum und Zeit. Sie sah auf das Sonnensystem hinab, das sie ihr Zuhause nannte. Nein, sie sah es nicht, sie spürte es, hatte ein Gefühl für jedes seiner Objekte und ihrer relativen Lokalität. Sie sah die Orbitalmechanik vor sich, ein nur scheinbares Wirrwarr aus Ekliptik und leicht gekrümmten Bahnen. Sie fühlte die Bugwelle der Heliosphäre, wo die angeregten Teilchen der Sonne vom interstellaren Medium abgebremst wurden und sich zu einer Gischt aus Partikeln auftürmten, die einen sprunghaften Anstieg von Wärme erzeugten. Durch die ionisierenden Wasserstoffatome, ihre elektrische Ladung verloren hatten, tauchte sie in die Heliohülle ein und erfasste die relative Ruhe, weit entfernt vom glühenden Zentralstern des Systems und seiner planetaren Trabanten, die auf treuen Bahnen um ihr gravitatives Zentrum rotierten. Es war nur ein Augenblick, eine Sekunde vielleicht, obwohl sich Zeitbegriffe des Traumes entzogen, und doch kam es ihr vor wie ein so komplexes Abbild eines einzigen Zustandszeitpunktes, dass es ausreichte, um ganze Bibliotheken zu füllen. Als ihr Verstand zu rasen begann, alles in sich aufsaugen und irgendwie abspeichern zu wollen, wusste sie, dass sich die Vorboten des verblassenden Traumes meldeten und ihn ihr entzogen. Enttäuschung kroch wie ein schleichender Infekt in ihre Knochen, sickerte unaufhaltsam in ihren Geist und weckte ihren Körper mit einem lähmenden Gefühl von Unzulänglichkeit, einer gewaltsamen Reduktion nach der Erfahrung gravitätischer Größe. Melody hob ihren Kopf und blinzelte einige Male, ehe sie sich mit der Hand über die Stirn fuhr und dabei ein merkwürdiges Muster mit den Fingern abtastete. Es folgte ein unangenehmer Druckschmerz. Seufzend entfernte sie sich von der Tastatur, die ihre Zweckentfremdung als Kissen mit einer Warnung auf dem Bildschirm quittiert hatte, dass die Feststelltaste aktiviert worden war, und rieb sich über die Augen. 'He, Adams', hörte sie eine Stimme mit dem typischen bostoner Akzent, der jeden Vokal merkwürdig abrundete. 'Morgen, Winthrop', grüßte sie ihren Kameraden, unterbrochen von einem mächtigen Gähnen, das ihren Kieferbogen knacken ließ. Als ihr der Duft frischen Kaffees in die Nase zog, schniefte sie, wie ein Tier, das Witterung aufnahm. 'Wenn alle Kollegen so den Schichtwechsel einleiten würden, könnte ich glatt vergessen, warum ich hier bin und nicht in Houston.' Winthrop, ein hagerer Mann mitte vierzig, mit erstaunlich vollem Haar, dafür, dass es bereits komplett ergraut war, grinste breit und überließ ihr die weiße Tasse mit dem NASA-Logo und der Aufschrift >I Need My Space<. Seine eigene führte er an die Lippen, schlürfte prüfend und nickte dann,
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Autorenportrait
Joshua Tree gehört mit über einer Million verkaufter Bücher zu Deutschlands erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren und wurde mit dem renommierten Phantastik-Literaturpreis "Seraph 2022" für den besten Roman ausgezeichnet. Die meisten seiner Werke sind Science-Fiction-Thriller, er fühlt sich aber auch in der Space Opera, Military, Dystopien und Fantasy zuhause. Zu seinen erfolgreichsten Werken gehören "Das Fossil", "Das Signal" und "Teleport". Joshua Trees Bücher wurden ins Englische übersetzt und sind sowohl in den USA als auch Großbritannien unter dem Pseudonym "Joshua T. Calvert" zu Amazon-Bestsellern geworden. Neben seiner Tätigkeit als Selfpublisher veröffentlicht er in beiden Sprachen auch bei großen Publikumsverlagen. Joshua Tree lebt und schreibt in Portugal.