Beschreibung
In der Kunstszene von Schwerin waren ihre Namen so bekannt wie das Staatstheater, das Museum oder das Schloss dieser Stadt - Helga Kaffke, Malerin, Gabriele Berthel, Autorin. Das war in der letzten Hälfte des gewesenen Jahrhunderts. In den Kulturnachrichten der jetzigen Landeshauptstadt spielen ihre Namen keine Rolle. - Beide Künstlerinnen leben seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr in Deutschland. Sie suchten ihren Lebensmittelpunkt zunächst in Frankreich und fanden ihn seit der Jahrtausendwende an der nordwestlichen Küste von Irland, in Mayo. Dort wurden sie sesshaft, heirateten, arbeiteten. Die Malerin Helga Kaffke ist im Winter 2017 gestorben. Ein Jahr vor ihrem Tod entstand das vorliegende Buch "ROUEN en miniature", Aquarelle Helga Kaffke, Texte Gabriele Berthel. Erinnerungen der Künstlerinnen an ihre Zeit in der Wahlheimat Frankreich. - Helga Kaffke beweist mit den Altstadtbildern wieder einmal ihre große Meisterschaft im Aquarell. Mit Stoffstühlchen und Malblock, mit Farbkasten und Wasserglas sitzt sie in der Rue des bons entfants und malt - Balkone mit Begonien, Häuserfassaden, schwarze Vögel im durchsonnten Laub, eine alte Turmuhr. Altstadtmilieu. Wir können es hören und riechen. - Die wunderbaren Geschichten von Gabriele Berthel begleiten ihre Bilder. Sie erzählen vom Clochard, der durchs Motiv schlappt und als Farbklecks unsterblich wird. Oder von Wassili Wassiljewitsch, dem letzten sibirischen Tiger aus Pappmaché auf dem Podest des Kinderkarussells, der dem zärtlichen Musettewalzer entflieht, weil ihn die Taigasehnsucht packt. Je vous demande beaucoup - versäumen Sie es nicht, mit den beiden Künstlerinnen durch die französische Altstadt zu wandeln!
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Hersteller:
Geschichtlicher Büchertisch Ralf Jordan
Ralf Jordan
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Bischof-Wedekin-Str. 14
DE 31662 Bad Salzdetfurth
Autorenportrait
Gabriele Berthel Geboren 1948 in Schmölln. Werkzeugmacher. Studium an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Diplomingenieur für Werkzeugmaschinenkonstruktion. Literaturfernstudium. Schriftstellerin, Collagistin. Bücher: "Kurz und mündig" (Hrsg. 1989), "Auszug der Wahrheit" (Lyrik, Prosa, Collagen, 1991), "Die Teufelei geht weiter" (Collagen zu Aphorismen von K. Bernardt, 1992), "Wer kämmt das Haar in der Suppe?" (2004, mit Illustrationen von Helga Kaffke), "Leben, was sonst" (2010, Texte zu Porträts von Helga Kaffke), "VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature" (2016, Texte zu Aquarellminiaturen von Helga Kaffke). Einzelausstellungen der Collagen u.a. in Achim, Anklam, Annaberg, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Gera, Hamburg, Müncheberg, Strausberg, Rudolstadt. Ausstellungsbeteiligungen u.a. in Berlin, Bremen, Chemnitz, Dresden, Flensburg, Gabrovo (Bulgarien), Greiz, Marburg, Nürnberg, Parchim, Wolfsburg. Lebt und arbeitet heute an der irischen Westküste.
Leseprobe
VALSE MUSETTE Die Fliehkraft ist es, die ihn forttreibt: er hat es lange geahnt, er hätte es keinem erklären können, aber jetzt weiß er Bescheid. Ein geduldiger Vater hat es seinem Sohn erklärt, am Rand des Karussells, und er, Wassil Wassiljewitsch, der Unvergleichliche, der womöglich letzte sibirische Tiger aus Pappmaché, hat genau zugehört: wenn die Fliehkraft zu groß wird, sprengt sie den Kreis, und was sich darin befindet, verlässt den vorgegebenen Zirkel, das ist ein Naturgesetz. Ihn trifft also keine Schuld. Er muss es tun, und vor allem gleich, es ist die beste, und es ist, für heute, die letzte Gelegenheit. Noch trinkt Jean-Robert, der Besitzer des Fahrgeschäftes, seinen täglichen Vormittagskaffee, er sitzt mit dem Rücken zum Bistrofenster, und sein Pferdeschwanz wippt im Fensterglas, Wassil Wassiljewitsch kann das genau beobachten. Bevor Jean-Robert ins Bistro ging, hat er die rot-weiß gestreifte Plastikplane vom Karussell entfernt, damit seine Tiere aufwachen, damit sie sich ans Tageslicht gewöhnen. Tagsüber wohnt Jean-Robert in einem winzigen Schilderhäuschen, keine zwei Meter entfernt von seiner Reitschule, und rot-weiß gestreift auch das, wie die Plane, wie der Karussellsockel, wie das Karusselldach unterm goldenen Kränchen, Jean-Robert im Schilderhaus hat seine Lieben immer im Blick, und die Lieben, die auf seinen Lieben reiten, im Kreis zu zärtlichen Musettewalzern. Bis den Vätern, den Müttern das Geld ausgeht oder die Geduld oder sie müde werden, bis sie ihre Kinder aus den Sattelträumen heben, bevor der nächste Walzer beginnt. Vorzeiten hat Wassil Wassiljewitsch diese Musik geliebt, aber das ist lange her. Immer und immer im Kreis, mit so viel Kraft unterm Fell, das kann einen Tiger zum wilden Tier machen, im Kreis mit all der Sehnsucht nach Weite, nach sibirischen Wäldern, Taigasehnsucht, im Kreis, im Kreis, bis der Walzer, am Abend, ein letztes Mal aufschluchzt, bis er schlappmacht und sich feige zurückzieht, tief in den Lautsprecher kriecht, diesen lächerlichen Kasten aus Drähten und Blech, wohin er, Wassil Wassiljewitsch, einem Feind niemals folgen würde. Noch schweigt die Musik, aber er muss jetzt abspringen, endlich, denn gleich wird Jean-Robert im Bistro den unwiderruflich letzten Schluck seines Kaffees trinken, er wird aufstehen, und dann muss er, Wassil, die sieben Meter geschafft haben, ganz ohne Deckung bis hinüber zum Laden des blassen Chemisetteverkäufers, der früher so oft vor seine Tür trat, der seinen Hemden immer ähnlicher wurde, die noch jetzt auf einem Chromständer in der Sonne bleichen, Hemden mit zarten Karos oder Streifen oder einfach von einem verschossenen Grün. Der Tiger ist los, der Tiger ist los, könnte der Verkäufer in diesem Augenblick rufen, aber er zeigt sich nicht, wie schon in den letzten Tagen, und Wassil Wassiljewitsch hat es geschafft, er hat sich wirklich auf den Weg gemacht, er will wissen, wie es in den Straßen jenseits des Marktplatzes aussieht, Straßen, die sonstwohin führen und aus denen Menschen kommen zu einem Karussell, das sich im Kreis dreht. Das liegt jetzt hinter ihm, und er sieht sich nicht um. Heller Tag ist, die Stunde der leichtfüßigen Demoiselles, die grazil übers Kopfsteinpflaster schweben, grüne Hüte und rotes Haar, nichts sonst, und es ist die Stunde der verhuschten grauen Gestalten, die keine Spur hinterlassen im Tag, für niemanden, grüne Demoiselles oder fremde Seligkeiten, oder eine verirrte Hoffnung, die Anschluss sucht, zäh wie die verblichenen Hemden des Chemisetteverkäufers, die ihren Platz in der Sonne nicht verlassen können. Lange schon hat der Herr der Hemden nicht mehr vor seinem Geschäft gestanden, die Straße hinauf, die Straße hinabblickend, vielleicht ist er ja tot, und es ist nur noch keiner gekommen, seinen Besitz in den Schatten zu tragen, den Laden zu schließen. Wassil, den Tiger, berührt das nicht, die Hemden machen keine Musik, spielen keine Walzer, sie können ihn nicht aufhalten, gelassen passiert er die schüchternen Winkversuche