Beschreibung
An Themen herrscht kein Mangel und es geht bei allem ums Ganze: 'Um unser Land', darum 'Verantwortung zu übernehmen', sich den 'neuen Herausforderungen zu stellen' - so der offizielle Politikersprech. Mal bissig, mal süffisant erzählt Ortner in diesem Buch in der Tradition der politischen Kabarettisten Matthias Beltz und Dieter Hildebrandt in kleinen überschaubaren Portionen von den Tollheiten der politischen Akteure, den Dreistigkeiten der Finanzkriminellen und anderen Zumutungen des Alltags: Drohnenangriffe, Quotenfrauen, Steuersünder, Alt-Stasis und Jung-Nazis, Vorratsdatenspeicherung, Bundestagswahl, Energiewende, Altersarmut, Alt-Nazis, Lohnverzicht, Papst-Rücktritt, Piraten-Parteitag, Leistungsträger, Marienerscheinung, Afghanistan, Mollath-Justizskandal, Bankenaufsicht, Edward Snowden, Dauer-Talkshows, Beschneidungs-Debatte, NSA, Papstwahl,Bambi-Verleihung, Waffenexporte, Limburger Protzbischof, Pofalla - nur mal so dahin gesagt. Kurzum, ein ganz normales Jahr: Stürme im Wasserglas, übliches Parteipalaver, allerlei Zwergenaufstände und an den Wochenenden das Wort zum Sonntag. Ortners Buch ist ein Streifzug, eine Expedition durch die Gegenwart unserer Republik. Frischluftgedanken, Notwehr-Notizen, Übertreibungen, spitze Angriffe und Attacken gegen Gott und die Welt. Subjektiv und ungerecht. Ganz nach dem Motto, das einst Matthias Beltz ausgab: Widerstand ist zwecklos - aber sinnvoll! Etwas Radau kann nicht schaden.
Autorenportrait
Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Bekannt wurde er durch seine Arbeiten zum Dritten Reich und zu dessen juristischer und gesellschaftlicher Aufarbeitung. Dazu gehören seine erzählenden Sachbücher 'Der einsame Attentäter - Georg Elser, der Mann der Hitler töten wollte' und 'Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers' sowie 'Hitlers Schatten - Deutsche Reportagen', die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt veröffentlichte er den Essayband 'Der Zorn - Eine Hommage' (2012) sowie 'Das Buch vom Töten - Über die Todesstrafe', (2013).
Leseprobe
Fangen wir vorne an. Ganz vorne. Ich kam im März 1950 zur Welt. Da existierte das Universum bereits etwas mehr als 13,8 Milliarden Jahre. Ein Urknall, danach ging es los. Seither ist viel passiert. Wenn wir über die Tollheiten unserer Zeit nachdenken, kann diese Tatsache extrem beruhigen. Es geht alles irgendwie weiter. Immer weiter. Zumindest bis heute. An Themen herrscht kein Mangel: Drohnenangriffe, Quoten-frauen, Steuersünder, Alt-Stasis und Jung-Nazis, Vorratsdatenspeicherung, Minijobs, Bundestagswahl, Energiewende, Altersarmut, Alt-Nazis, Lohnverzicht, Papst-Rücktritt, Familiensplitting, Datenüberwachung, Piraten-Parteitag, Wanderbaustellen, Leistungsträger, Marienerscheinung, Afghanistan, Mollath-Justizskandal, Bankenaufsicht, Edward Snowden, Dauer-Talkshows, Beschneidungs-Debatte, NSA, Volksmusikstadl, Papstwahl, Beschleunigungsgesetz, Bambi-Verleihung, Sicherheitskonferenz, Limburger Protzbischof, Pofalla - nur mal so dahin gesagt. Kurzum, ein ganz normales Jahr: Stürme im Wasserglas, übliches Parteipalaver, allerlei Zwergenaufstände und an den Wochenenden das Wort zum Sonntag. Dabei geht es bei allem ums Ganze. 'Um unser Land', darum 'Verantwortung zu übernehmen', sich den 'neuen Herausforderungen zu stellen' - so der offizielle Politikersprech. Und es geht um - ja, verdammt noch mal - um 'unsere Werte'. Um welche Werte? Übereinstimmung ist nicht leicht herzustellen. Einigen wir uns darauf: Die Roadmap für unser verfasstes und verbindendes kollektives Bewusstsein ist nicht die Bibel, nicht der Koran, nicht das Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie, nicht die Vereinssatzung des FC Bayern München - sondern allein unsere Verfassung. Die sollten wir verteidigen. Jürgen Habermas nennt das Verfassungspatriotismus. Also: Sind wir Patrioten, Verfassungspatrioten! Man muss das in diesen Zeiten durchaus betonen, in der allerlei Werte-Verteidiger, Werte-Fanatiker und Werte-Fundis, die sich in der Sache oder irgendeinem Dogma für unfehlbar halten, durchs Land ziehen, um mit ihrer Version der Wahrheit ihre Mitbürger oder gleich die ganze Menschheit zu beglücken. Alle wollen die Welt retten - im Zweifel auch uns. Das muss nicht sein. Wir kümmern uns gerne um uns selbst. Auf den folgenden Seiten geht es weniger um Werte, es geht um das 'Politische'. Und da lässt sich festhalten: Es zerfällt in diesen Zeiten zunehmend in Parteidenken, Lobbypolitik, Administration und Showbusiness. Mittendrin die medialen Verstärker und Verkünder. Zu Wort kommen vor allem die Befugten der neuen Expertokratie: Wirtschaftsexperten, Gesundheitsexperten, Rüstungsexperten, Terrorismusexperten, Sozialexperten, Wetterexperten und sonstige Universalexperten - immer mit der Behauptung, das 'heutzutage ja alles so komplex' geworden sei, dass es einen offiziell anerkannten Experten braucht, der uns die Welt erklärt. Da wird es Zeit, einmal dazwischen zu plärren. 'Haben Sie überhaupt Abitur?', fragte Franz-Josef Strauß einst einen Journalisten, der ihm mit kritischen Fragen zusetzte. Der Mann trug längeres Haupthaar, keine Krawatte und arbeitete schlimmerweise auch noch für ein Magazin aus Hamburg. Für den bajuwarischen Polit-Despoten also eine Spezies, dem nur bedingt demokratische Grundrechte zustanden - in jedem Fall aber man keine Antwort schuldete. Punkt. Seit Strauß hat sich die politische Welt ein paar Mal gedreht. Heute bedarf es keiner besonderen Berechtigungsnachweise, um Fragen zu stellen. Es gehört zu den großen Errungenschaften, dass in einer freien Gesellschaft jeder alles fragen und kritisieren kann - und zwar auch dann, wenn er eine intellektuelle Dumpfbacke ist. Das ist bitter für Leute mit Abitur, Spezialexperten und sonstige Meinungsverwalter - aber es ist so. Und das ist gut so. Gelebte Demokratie: Jeder kann sich zu Wort melden, Pamphlete schreiben, Attacken und Notizen in Druck geben. Übrig geblieben ist - teilweise nicht ganz zu unrecht - der Vorwurf, es gäbe bei dem basisdemokratisch-öffentlichen Gemotze und Palaver, neben den kaum mehr überschaubaren 'offiziellen' Profi-Experten, nun auch noch viel zu viele 'selbsternannte' Experten. Das Attribut 'selbsternannt' bezeichnet einen illegitimen Anspruch, lässt aber gleichzeitig den autoritätsgläubigen Geist dessen erkennen, der auf die Wirkungskraft des Schimpfworts setzt. Meistens kommt der Vorwurf von den professionellen Experten. Sie kämpfen um ihre Meinungshoheit und Deutungsmacht. Im digitalen Zeitalter ein Kampf gegen Windmühlen. Alle sind Experten, im Speziellen und im Allgemeinen. Alle reden mit, niemand weiß Bescheid. Oder doch? Die Texte in diesem Buch wurden - ich gestehe es vorab - ganz und gar aus der subjektiven Laune eines 'selbsternannten' Experten und Kritikers fürs Allgemeine niedergeschrieben. Es handelt sich dabei um keine Amtsanmaßung, um kein Täuschungsmanöver, keine Hochstapelei - wie gesagt, wir leben in einem freien Land. Ein Autor darf sich immer und überall selbsternannt äußern. Er handelt auf eigene Gefahr. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Klappentext. Und der Bürger? Die Mehrheit gibt sich brav, stoisch, gleichgültig, gelangweilt, zufrieden - vor allem: gut unterhalten. Harald Martenstein hat dafür den Begriff 'Empörungsverweigerung' gefunden. Tatsache ist: Wer sich zuviel über Drohnen, Beschneidungsurteil, Bankenrettung und Herrn Pofalla aufregt, steht vor einem mentalen Dilemma. Erstens, so Martenstein, kann man sich nicht unbegrenzt aufregen; zweitens verbreitet man im engeren sozialen Umfeld mitunter schlechte Stimmung. Man gilt als Nörgler und Misanthrop, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man zu keiner Party eingeladen und von der Gästeliste gestrichen wird. Was tun? Resignation mit zusammengepressten Lippen oder vitale Empörung im Dickicht politischer Simulation? 'Politische Moral bildet sich im Zustand der Empörung', sagt der Soziologe Oskar Negt. Wo also landen wir, wenn wir auf unsere Empörungsfähigkeit verzichten? Dieses Buch erzählt in kleinen überschaubaren Portionen von den Tollheiten der politischen Akteure, den Dreistigkeiten der Finanzkriminellen und anderen Zumutungen des Alltags. Die Noizen entstanden zwischen Januar und Dezember 2013 und werden hier chronologisch gedruckt - ohne Nachbesserungen, allenfalls mit kleinen Aktualisierungen, die als Nachtrag gekennzeichnet sind. Es ist ein Streifzug, eine Expedition durch die Gegenwart unserer Republik. Frischluftgedanken, Notwehr-Notizen, Übertreibungen, spitze Angriffe und Attacken gegen Gott und die Welt. Subjektiv und ungerecht. Geschrieben für den Tag, in der Tradition der Situationisten. Ganz nach dem Motto, das einst der große politische Kabarettist und Menschenfreund Matthias Beltz ausgab: Widerstand ist zwecklos - aber sinnvoll! Etwas Radau kann nicht schaden. Helmut Ortner Frankfurt, Dezember 2013