Beschreibung
Christian Baron und Édouard Louis haben im Oktober und November 2023 die Vorlesungen der Tübinger Poetik-Dozentur gehalten. Im vorliegenden Band kommentieren beide ihre Arbeit als Autobiografen, als Biographen. Sie gelten als Protagonisten - zusammen mit Didier Eribon und Annie Ernaux - einer neuen Gattung, der Autosoziobiografie. Autobiographien erzählen von Lebensläufen, von anrührenden, interessanten, von außergewöhnlichen oder aber auch von gewöhnlichen, scheiternden oder sogar solchen Biographien, die gar keine zusammenhängenden Lebensläufe erkennen lassen. Das Nachdenken über Autobiographien und ihre Form, ihre Ziele und ihre Sprache ist so alt wie die Gattung selbst. Christian Baron und Édouard Louis allerdings haben diesen Reflexionen noch einmal eine eindrucksvolle Wendung gegeben. Die Vorlesungen haben einen dezidiert politischen Fokus und sind durch einen Klassenwandel, besser: durch Bildungsaufstieg geprägt. In letzter Zeit hat sich für solche Texte der Begriff der Autosoziobiografie etabliert. Die Poetikvorlesung aus dem Jahr 2023 verbinden ein aktuelles literarisches Genre mit brisanten politischen Fragestellungen, die nicht auf einzelne Staaten beschränkt sind, sondern Literaturen, Sprachen und Gesellschaften miteinander in Beziehung bringen.
Autorenportrait
Édouard Louis, geboren 1992 als Eddy Bellegueule in Hallencourt, studierte Philosophie und Soziologie und lebt heute als Schriftsteller in Paris. Sein erster Roman "Das Ende von Eddy", 2015 ins Deutsche übersetzt, wurde 2014 mit dem Pierre Guénin-Preis gegen Homophobie ausgezeichnet und machte Louis zu einem der bekanntesten zeitgenössischen französischen Autoren. In dem autosoziobiografischen Roman beschreibt Louis' Ich-Erzähler seinen Ausbruch aus den prekären Lebensumständen, in denen er sich als homosexueller Heranwachsender im Arbeitermilieu seines Heimatdorfes wiederfand. Sein letzter Roman "Anleitung ein anderer zu werden" (2022) kehrt thematisch zu seinem Versuch zurück, sich jenseits des Herkunftsmilieus neu zu erfinden: Der Ich-Erzähler berichtet von seinem Aufstieg als "Klassenübergänger" und sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob die Transformation der Selbst die erhoffte Befreiung bewirkt. Louis' Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt und für das Theater bearbeitet. Seine Texte erzählen von Menschen, die in Literatur selten repräsentiert sind, und legen die strukturelle Gewalt, der Menschen aus unteren Schichten ausgesetzt sind, offen.