Beschreibung
Er war der musikalische Wunderjüngling des deutschen Vormärz: umfassend gebildet und als einer der ersten universellen Musiker auch historisch bestens informiert, höchst virtuos auf dem Klavier und schon als junger Erwachsener kompositorisch wie als Dirigent stilsicher. Zugleich skrupulös bei der Ausarbeitung seiner Partituren. Unermüdlich in Bewegung für ein Musikleben auf höherem Niveau. Mendelssohns Brillanz und Leichtigkeit faszinierte einen Teil der Zeitgenossen, blieb einem anderen Teil suspekt. Der Nachwelt schienen die biedermeierlichen Züge einiger seiner Lieder und der fürs Klavier geschriebenen Lieder ohne Worte immer wieder bedenklich und gaben, wie der Vorwurf mangelnder "Originalität", Angriffsflächen für heftige Polemik. Im Kern ist das, was die Musikforschung im späten 20. Jahrhundert als den "Fall Mendelssohn" resümierte, bis heute umfassend aufgearbeitet - ein Feld, über dessen Problematik die ansehnlichen Aufführungs- und Sendequoten nicht hinwegtäuschen können. Daheim und unterwegs: auch weil Mendelssohns Musik mit ihrem brio und con fuoco so hörbar als Kunst der Beschleunigung erschien, die technische Revolution vom Segler zum Dampfer, von der Postkutsche zur Eisenbahn begleitete, wurde ihr "Pioniercharakter" abgelauscht. Irritierend und faszinierend, daß da ein "Sonntagskind" einer Epoche des Friedens und des wirtschaftlichen Aufschwungs sein Leben lang unterwegs war - sein mußte. Dafür, daß er früh zum ,worcaholic' wurde, mag es eine persönliche und familiäre Disposition gegeben haben. In hohem Maß aber dürften zugleich gesellschaftliche Umstände dazu beigetragen haben. Auch zu den Identitätsproblemen, an denen sich der in seinen Jugendjahren getaufte Enkel Moses Mendelssohns sein kurzes Leben lang abarbeitete. Sie treten in den Haltungen zu Fragen der Religion (und insbesondere einer spezifisch protestantischen Musik), der Literatur, einer denkbar werdenden Republik (und einer demokratischen Revolution), der Oper und der Opernlibrettistik besonders deutlich hervor. Diesen Problemen des glücklich-unglücklichen "Sonderfalls" Mendelssohn in der deutschen Musikgeschichte gilt das Hauptaugenmerk der zehn Essays in diesem kleinen Band.