Beschreibung
Die Familie birgt ein Geheimnis, das Geheimnis um den Vater Andrés, das der Sohn in dem Moment aufzudecken beginnt, da er selbst Vater wird. André ist der Sohn von Gabrielle und Paul. Die beiden sind sich 1919 im Krankenzimmer des Gymnasiums von Aurillac begegnet, Gabrielle als Krankenschwester, Paul als sechzehn Jahre jüngerer Internatsschüler. Gabrielle strebt aus der provinziellen Enge fort und folgt Paul nach Paris, obwohl sie weiß, dass die Beziehung nicht andauern kann. Als sie schwanger wird, erfährt Paul nichts davon. André wächst behütet in der Familie von Gabrielles Schwester Hélène mit seinen fröhlichen Cousinen auf, und doch bleibt die Vaterstelle leer. Der Roman ist kunstvoll aufgebaut. Zwölf Kapitel, jedes mit einem Datum überschrieben, verschränken sich zu einer Familiengeschichte über drei Generationen und hundert Jahre, 1908 bis 2008. In jedem wird eine Begebenheit ausgebreitet und durch vorgreifende Gedanken, Erinnerungen in den Zusammenhang gestellt. Lafons Erzählung ist von einer tiefen Zärtlichkeit für ihre Figuren getragen. Man ist mittendrin in ihrer Welt zwischen dem hochgelegenen Dorf im Cantal, der Provinzstadt im Lot und dem fernen Paris, spürt der Veränderung der Lebensverhältnisse nach.
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Autorenportrait
Marie-Hélène Lafon, geb. 1962, gehört zu den interessantensten literarischen Stimmen im heutigen Frankreich. Die meisten ihrer rund fünfzehn Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt vorliegen, spielen im Cantal in der Auvergne, in der abgeschiedenen, von Landwirtschaft geprägten Bergwelt, wo Lafon aufgewachsen ist. Seit vielen Jahren lebt und schreibt sie in Paris. 2016 erhielt sie den Prix Goncourt de la nouvelle, 2020 den Prix Renaudot
Leseprobe
Gabrielle kann nicht genug bekommen von Pauls langen Händen. Sie weiß von Anfang an, dass er gehen wird, dass er sie verlassen wird, weil sie sechzehn Jahre älter ist als er und sie ihm alles über die Frauen beigebracht hat; das kann ein Mann wie er keiner Frau verzeihen. Paul ist ein junger Hund ein wilder ein gerissener; er macht ihr den Hof, sammelt den Nektar, wirft samtene Blicke, schärft sich, wetzt sich, er hat schnell gelernt; er schlägt seine Fangzähne ein, er wird zu allem fähig sein, ihm wird nicht zu trauen sein. Er ist ihr Typ von Mann, das weiß sie seit langem; es wird sie zerreißen, wie noch nie etwa sie zerrissen hat, das ist der Preis, der Preis des Rauschs. Sie mag weder die Sanften noch die Netten; sie braucht die Knute, das Großartige; sie verschreibt sich den Auffallenden, den Aufschneidern, den Gleißenden, den Glühenden, die alles verbrennen, was sie berühren.