Beschreibung
Sie gilt als Erneuerin der Kurzgeschichte und war die einzige Schriftstellerin, auf deren Stil Virginia Woolf neidisch war. Kompromisslos beharrt sie in ihrem Schreiben auf Wahrhaftigkeit und setzt sich dabei über Konventionen hinweg, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Katherine Mansfield bringt neben Präzision und Musikalität einen neuen Tonfall in die Literatur, neue Perspektiven - wichtiger als die Handlung sind ihr die Menschen in ihren Geschichten -, einen von vielen unterschätzten Humor und Sinnlichkeit im Übermaß. Ihre psychologisch motivierten Texte, die oft autobiografisch geprägt sind, schildern alltägliche Ereignisse und scheinbar Nebensächliches, rücken dabei aber immer einen einschneidenden Erkenntnismoment ihrer Charaktere in den Mittelpunkt. Aus ihrem Werk von insgesamt 88 Kurzgeschichten, versprengten Gedichten, Tagebüchern, Briefen und Rezensionen hat Ingrid Mylo eine Auswahl getroffen, die diefaszinierenden Aspekte von Katherine Mansfields Persönlichkeit auf besondere Weise mit ihrem Werk verknüpft.
Autorenportrait
Die viel zu früh verstorbene (1888-1923), neuseeländisch-britische Schriftstellerin Katherine Mansfield wird als Meisterin der Kurzgeschichte heute auf eine Stufe mit James Joyce, Virginia Woolf und Anton Tschechow gestellt. Ihr kurzes Boheme-Leben war geprägt von Reisen, Krankheit, Liebschaften mit Männern und Frauen und einem sehr illustren Bekanntenkreis um Virginia Woolf, Bertrand Russell, D. H. Lawrence. An zweiter Stelle sah sie sich als Frau, an erster Stelle als Schriftstellerin.
Leseprobe
Ihr Leben ist Schreiben, und Schreiben heißt: sich um Wahrhaftigkeit bemühen. Heißt: genau sein, unverfälscht, einfach. Und heißt: schreibend über all das nachdenken. Das hat sie getan, in unzähligen Tagebucheinträgen, in Briefen, in Rezensionen. Immer wieder hält sie, vor allem im Tagebuch, fest, was sie ausdrücken will und wie, was sie sich vom Schreiben erhofft, was sie vom Schreiben fordert, von sich fordert, was sie (selten) gelungen findet, wann und wo sie (meistens) scheitert. Ihre Einträge wechseln häufig Form, Farbe und Temperatur. Was geschehen ist, steht neben Wünschen und Abneigungen, Entwürfe gehen über in Gedichte, aus Briefen, die sie formuliert, aber nie abschickt, steigt der Geruch nach Zigaretten und Flieder. Nichts, was sie erlebt, denkt, fühlt, soll verlorengehen: Es könnte wichtig sein, später einmal, könnte in einer Erzählung genau jener Mosaikstein sein, ohne den die Erzählung unvollständig wäre. Der Ischiasschmerz, dessen Schärfe sie schriftlich fixiert, um ihn eines Tages jemanden in einer ihrer Geschichten zu verpassen. Die roten Geranien in einem Londoner Garten, der nackte Liebhaber, der in einem Pariser Zimmer mit einem 'winzigen Haken das Feuer schürt', die ausladenden Hinterteile der Schweizer Frauen, eine Uhr, die unter dem Kopfkissen tickt. 'Ich will mich daran erinnern, wie das Licht aus einem Zimmer schwindet, und man schwindet mit ihm, wird ausgelöscht, während man dasitzt, die Knie zusammen, die Hände in den Taschen ' (Tagebuch, 1.1.1922). Ihre Tagebücher sind Schatztruhen, in denen man stundenlang stöbern kann wie als Kind in den Kisten auf dem Dachboden: Man zieht ein grünes Samtkleid heraus, einen spöttischen Dialog, ein Zitat von Shakespeare oder Keats, eine Taube, die Wasser erst trinkt, nachdem sie es mit ihrem Fuß eingetrübt hat (dann passt es besser zu ihrem nachdenklichen Wesen), einen Gedankenstrich zwischen einem Clown und einer Gräfin, einen Traum, in dem sich ein Arbeiter in einen Vogel verwandelt, Tamarisken und Mandelbäume, eine Beobachtung, die so geschliffen ist, dass ihre Facetten in dem Sonnenstrahl funkeln, der durchs Dachfenster fällt.