Beschreibung
Die Geschichte bietet zu den Themen 'Fremde' und 'Fremdsein' ein großes Reservoir an Erlebnissen, Erfahrungen, Erkenntnissen, Erfolgsgeschichten und Problemfällen. Das gilt auch und besonders für die Antike. Sie ist für uns das 'nächste Fremde' (Uvo Hölscher), nicht im zeitlichen, sondern im kulturellen und mentalen Sinn: fremd genug, um unsere Denkgewohnheiten infrage zu stellen, und nahe genug, um für uns auch heute noch von Bedeutung zu sein. Das Buch stellt kompakt, anschaulich und fundiert recherchiert dar, wie die uns kulturell und mental so nahestehenden Menschen der Antike mit Fremden umgegangen sind. Dabei ergibt sich ein breites Spektrum an Sichtweisen und Einstellungen, das von Verfolgung, Vertreibung und Ausgrenzung bis zu Toleranz und Integration reicht. Inhaltlich konzentriert sich das Buch auf die Griechen und Römer, mit einem zeitlichen Bogen, der sich vom achten Jahrhundert v. Chr., der Frühzeit der Griechen, bis zum fünften Jahrhundert n. Chr., dem Ende des Weströmischen Reiches, erstreckt.
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Autorenportrait
Holger Sonnabend, geboren 1956 in Hannover, lehrt Alte Geschichte an der Universität Stuttgart. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher zur Geschichte der Antike. Darüber hinaus leitet er regelmäßig historische Studienreisen in die Welt der Antike und präsentiert geschichtliche Themen in Rundfunk und TV.
Leseprobe
Bei den Griechen war nicht jeder Fremde gleich fremd. Sie nahmen eine deutliche Unterscheidung zwischen griechischen Fremden und nichtgriechischen Fremden vor. Wer kein Grieche war, war ein Barbar. Wer Grieche war, aber einem anderen Stadtstaat angehörte, war kein Barbar, aber doch ein Fremder. Zwar schufen die Griechen durch die Faktoren Abstammung, Sprache, Religion und Lebensformen eine kulturelle Identität, mit der sie sich von Persern, Libyern, Ägyptern oder anderen Völkern - den 'Barbaren' eben - abgrenzten. Jedoch bildeten sie in der Antike zu keinem Zeitpunkt eine rechtliche oder gar staatliche Einheit. Die Griechen waren sich selbst ziemlich fremd, sie waren auch in Griechenland fast überall Fremde. Das lag an den politischen Strukturen der klassischen Zeit. Griechenland bestand aus etwa 700, meist sehr kleinen Stadtstaaten, von den Griechen 'Poleis' genannt. Jede Polis war autonom und frei, mit eigenen Gesetzen, eigenem Bürgerrecht, eigenen politischen Funktionären, eigenem Kalender, eigener Währung. Sie definierte sich als Personenverband und nicht über das Territorium, in dem die Menschen lebten. So gab es die Athener, die Spartaner, die Korinther, die Thebaner. Schneller als ein antiker Grieche konnte man kaum zum Fremden werden: Er musste nur seine Stadt verlassen, über einen Berg ins nächste Tal gehen, die Grenzen der Nachbarstadt überschreiten - und schon war er ein Fremder. Kam man nur zu Besuch oder wegen geschäftlichen Angelegenheiten, kehrte man anschließend in die eigene Stadt zurück und war kein Fremder mehr. Anders aber verhielt es sich mit jenen Menschen, die für länger oder sogar auf Dauer oder sogar für immer in einer fremden Stadt lebten. Am besten sind in dieser Hinsicht die Verhältnisse in der Polis Athen bekannt. In klassischer Zeit entwickelte sich die Stadt in Attika zu einem der wichtigsten urbanen Zentren in Griechenland. Hierher strömten viele Fremde, Nichtgriechen wie auch Griechen. Sie wurden angelockt von den wirtschaftlichen Möglichkeiten, welche die pulsierende Metropole bot, wie auch von deren kulturellem Glanz. Wurden sie von der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen? Die Politiker jedenfalls sendeten freundliche Signale aus. Allen voran der berühmte Solon. Seine Glanzzeit hatte er vor 2600 Jahren, zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. Er war ein wahres Multitalent: Politischer Reformer, Wegbereiter der athenischen Demokratie, Gesetzgeber, Lyriker, einer der Sieben Weisen der Antike.