Beschreibung
Neue Gedichte der hoch dekorierten Lyrikerin: Anna-Seghers-Preis (1987), Leonce-und-Lena-Preis (1991) Gerrit-Engelke-Preis (1999).
Mythologie und Märchen: Wenn Kerstin Hensel Motive aus diesen überlieferten Erzählungen benutzt, dann findet sie zu Formulierungen von einer erstaunlichen explosiven Kraft. Aus alten Geschichten, Zaubersprüchen, Legenden und heute gebräuchlichen Redewendungen komponiert Hensel Gedichte, die lustvoll den verschatteten Blick für das Böse pflegen und die doch eine eigene und höchst abgründige Schönheit besitzen.
Autorenportrait
Kerstin Hensel wurde 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren. Sie studierte am Institut für Literatur in Leipzig und unterrichtet heute an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Kerstin Hensel lebt in Berlin. Bei Luchterhand sind zuletzt erschienen die Gedichtbände »Bahnhof verstehen« (2001) und »Alle Wetter« (2008), die beiden Romane »Falscher Hase« (2005) und »Lärchenau« (2008) und zuletzt »Federspiel«, drei Liebesnovellen.
Leseprobe
Ich rannte davon. Ich dachte: Hilfe!
Ein Prinz will meine Füße vermessen, Liebe
Nannte er das, aber ich
Floh vor der sonnigen Zukunft
Knallheiß gleißende Wege
Ein Licht das auf Hirn Auge Mund
Blasen warf feurige Versprechen
Fort! dachte ich und der Straßenteer
Fraß den ersten den zweiten Schuh von meinen Füßen
Schmatze und hinter mir schwitzte der Prinz
Blut. Ein mächtiges Hoch
Brach übers Land.
Ich ward ein Täubchen Mein Schnabel nahm Kurs Auf die Augen des Herrn
Hinter den Ställen versprühen die Tauben jetzt
Kropfmilch und Nebel wächst aus
Darinnen das Land
Langsam
Verkäst.
Dann regnet es Frösche. Hochzeiten Fallen ins Wasser. Herr Noah Geht am Rathaus vor Anker Und aus dem Kirchturm Rufen die heulenden Tiere Zur Landpartie auf.
Und - hoi! - die Märchen
In Schnüffeltüchern verpackt und Sturm
Saust durch Städte und Stirnen stürzen
Ein. Wie die Zeitungen
Schreiben, zahlt die Versicherung
Nichts
So kam ich davon. Ich dachte: schön, Niemand will mir sein Band anlegen, Liebe Läßt sich nicht nennen und ich Lief in den kühlen handfesten Tag Harsche Wege aus Schnee
Dämmerung die auf Mund Aug Hirn Sanft ihre Einfalt vergoß.
Bleib, sagte ich und ruschelte Winterstiefelbeschuht
In die graue knirschende Zeit. Ein mächtiges Tief Brach übers Land.
Ich ward eine Prinzessin
Und Tauben aß ich und Eiszapfen
Hingen mir an.
GEFASEL
Zweierlei Ängste an kurzer Leine:
Die eine: der Menschen zu viele, die mich umgeben.
Die andere: kein Mensch mehr der mir zu viel ist.
MEINE WELT
Aus hellem Haus tret ich in einen Garten
Links liegt das Meer und rechts ein hohes
Von Sagenerz durchschimmertes Gebirg.
Der Liebste zündet die Kastanienkerzen an
Ich ziehe meinen Hummelpelz aus und verschlanke
Flieder und Ginster, Mandel, Anemonen
Ertragen sich im Blütenspiritus.
Nur Duft herrscht. Wir beniesen unser Wohl.
Auf blankem Holztisch tafelt auf der Mai:
Gebratne Scholle, Spargel und Rhabarber
Auch Erdbeeren, Sahne, frische Pfefferminze.
Zwölf Freunde ohne König und Lakaien
Verwoben im Gespräch. Zwischen den Augen
Das Maß des Glückes heiter streng gelassen:
Es sehen, wie der Stielz ums Feuer stampft Es wissen, wo der Restwelt Kacke dampft
GESCHMACKSSACHE
Am liebsten würde ich meine
Sauerampfersuppe bedichten
Wie sie so auf den Tisch kommt
Mit Weißwein, Butter, einer Prise Muskat.
Ein Gedicht! rufen die Esser.
Wie aber reimt's sich zusammen?:
Von der Wiese gepflückte Blätter verkocht
Und daß es uns schmeckt?
LINDENSTRASSE
In meiner Straße werden die alten Linden zersägt und die
Sonne
Fällt und haut Mir auf den Tisch.
Ein Kind fährt singend auf Rollschuhen um Hi-ha-ho-Hundekothaufen Und an den Stümpfen treibt Springlebendiges aus.
In meiner Straße wachen ab heute
Feuerwehr und Polizei. Aktentaschen
Knarzen am Feierabend. Später träumen die Nachbarn
Daß ihnen ein König heraufwächst.
Schon riecht das Kind
Des Lindenhonigs Hoffnung
Und leckt sich
Alle zehn Ästlein danach.
SÜSSE HULDIGUNG
Nach jedem Lauf durch den Wald
Legen wir auf die Spitze unseres Ameisenstaats
Ein S Leseprobe
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