Beschreibung
'Die mächtigste Stimme des lateinamerikanischen Kontinents - eine Stimme gleichzeitig von weltliterarischem Format.' Hans Magnus Enzensberger Endlich: Die große dreibändige Werkedition der Gedichte Nerudas in erweiterter Neuausgabe. Enthalten sind in diesen drei Bänden nicht nur die Werke, die Pablo Neruda Zeit seines Lebens veröffentlichte, aufgenommen wurden auch die erst später im Nachlass entdeckten Gedichte des Autors. Wenn es einen Erzpoeten im 20. Jahrhundert gegeben hat, dann war das Pablo Neruda. Er schrieb über alles, was ihn bewegte, und nahm sich vor nichts in Schutz: weder vor der Liebe noch der Politik. Als junger Mann war er bereits Diplomat seines Landes im fernen Osten, später musste er Chile verlassen und über Jahre das Leben eines Emigranten führen, und wieder Jahre später unterstützte er seinen Freund Salvador Allende, als dieser sich zum Staatspräsidenten wählen lassen wollte. Wenn Neruda seine Gedichte vorlas, füllte er Stadien, und eines seiner erklärten Ziele war es, mit seiner Poesie nicht nur die Gebildeten zu erreichen, sondern auch diejenigen, die mit Literatur nicht vertraut waren. 1971 erhielt er den Nobelpreis. Zu Nerudas Bewunderern zählen weltweit namhafteste Autoren. Renommierte Schriftsteller haben sich in den Dienst von Nerudas Werk gestellt und es ins Deutsche übersetzt. Zu ihnen zählen u.a. Erich Arendt, Stephan Hermlin, Fritz Rudolf Fries; dazu kommen so bedeutende Übersetzer wie Fritz Vogelgsang, der erst 2008 mit dem Leipziger Buchpreis geehrt wurde. In der dreibändigen Ausgabe sind alle großen Gedichtzyklen dieses Autors vollständig enthalten. Aufgenommen wurden sie nach der Chronologie ihres Erscheinens. Enthalten sind in dieser Neuausgabe, die vor über zwanzig Jahren erstmals erschien, auch jene Gedichtzyklen, die erst später im Nachlass des Dichters gefunden und ins Deutsche übertragen worden sind. Damit macht diese Edition auf ca. 3000 Seiten eines der wichtigsten poetischen Werke des 20. Jahrhunderts wieder in seinem ganzen Reichtum zugänglich.
Autorenportrait
Pablo Neruda (1904-1973) gehört zu den großen Autoren der Weltliteratur. Er war u.a. Botschafter seines Landes in verschiedenen Ländern, bewarb sich um die Präsidentschaft in seinem Land und musste lange Jahre im Exil verbringen. 1971 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sein Werk erscheint seit vielen Jahren im Luchterhand Verlag, darunter »Das lyrische Werk« (in drei Bänden) und zuletzt ein Band mit Liebessonetten »Hungrig bin ich, will deinen Mund« (1997).
Leseprobe
ICH LIEBE DIE SANFTMUT. Ich liebe die Sanftmut, und trete ich über die Schwelle einer Einsamkeit, öffne ich die Augen und lasse sie überlaufen von der Süße ihres Friedens. Ich liebe die Sanftmut über allen Dingen dieser Welt. Ich finde in der Beruhigung der Dinge ein großes und ein stummes Lied. Die Augen zum Himmel wendend, gewahre ich im Erschauern der Wolken, im Vogel, der vorüberzieht, und im Wind die große Süße der Sanftmut. AUS MEINEM STUDENTENLEBEN (1) Glocken, Glocken. Es läuten Glocken, und alle Klänge bewohnen die Luft. Glocken, Glocken. In der Ferne die Noten im wimmernden Vibrato des Schmerzes. Die Tage dahin! Es kommt ein Morgen. Es vergeht ein Morgen ohne Licht noch Laut! Ach des Menschen leuchtende Schimären! Ach die Genüsse, die man uns immer nur verspricht! Morgen, morgen! Die müden Augen, sie sind seit langer Zeit geschlossen und naß und traurig von soviel Warten! Laßt ab, die fernen Glocken zu läuten! (Die Tage gehen dahin wie die Glocken in ihrem Geläut. Dann hören sie auf zu läuten.) DER WUNSCH FORTZUGEHEN Die Sonne steigt ein durch mein Fenster, hat alles fröhlich erleuchtet. Ein Hund bellt, und ein Vogel entlockt seiner Stimme ein mächtiges Trillern. Auf dem Rücken liege ich in meinem Bett und weiß nicht, warum ich die weite Welt anbeten möchte, mich im Dunst der Seen verlieren, mich mit dem Licht der Freude blenden. Mit einem Lied zu wandern über wilde Wege, die milden Nachmittage im Gefühl, und das Herz entbrennt in der himmlischen Flamme der Liebe, die am Wegrand glüht. REBELLION Ausgepeitscht vom Regen und vom Wind richten die Pappeln sich auf und klagen wild, stehen am schwarzen Firmament und sind mit zottiger Mähne aus grünem Astwerk ein Schild. Doch bald sind sie müde, das Unerreichbare zu wollen, nur einmal noch zeigt Rebellion ihre Statur, wenn sie an dem verzweifeln, was sie sollen, und in ihrem Wunsch nach Größe zeigt sich die Natur. Der Kampf ist wild und gilt allen Gewalten, und in Schönheit können sie ihre Größe halten, die allen gehört, die eine Rebellion erhebt. Doch immer wird man sich zu den Besiegten zählen, und mit bösem Zischen wird der Wind sie quälen, der Sieger, unter dessen Hand der fügsame Ast erbebt. DER EINSAME Schulhof du, der Sonne ausgesetzter Ort, von Hütten umstellt mit bemoosten Wänden; im gelben Laub die Pappel dort, ohne Ende der Gang, den Rosenstock in Händen. Die Zeit ist ein launischer Wechsler, verkleidet mit irren Kostümen, mit denen sie uns streichelt. Sie gibt uns Trauer, wenn sie die Dinge meidet, aber es ist eine Tristesse, die uns schmeichelt. Die Pappel erhebt sich hochmütig und stolz, in goldenen Wellen zeigt sich ihr schönes Holz, trauernd kann sie so sanft mit den Dingen kosen. Mit Geringschätzung sieht sie, was am Boden ist. Verachtet blicklos den Rosenstock, der sich an ihr mißt, den geheiligten Duft der letzten Rosen. AUS MEINEM STUDENTENLEBEN (2) Ich habe zu einem Buch gegriffen, es weggelegt. Gegen meine Wünsche kann ich nicht studieren. In der stillen Nacht ist in mir der Wunsch erwacht, der hat mich angestiftet auszugehen. Ich will singend durch eine Gasse streifen, es ist der Kehrreim eines alten Liedes. Ich will die alten Schmerzen wecken, und so werden meine Füße weiter wandern. Durch alle fernen Straßen will ich gehen, durch die Scheiben eines Fensters sehen, vor Augen den grauen aschfarbenen Himmel. Der lachende Mond gäbe mir sein Licht, die alten Schmerzen kehrten wieder, doch ich spürte nur die Freude des immer weiter Wanderns. DAS SCHMERZHAFTE WARTEN Nicht gekommen ist die Geliebte, nie wird sie kommen, nie ihre Hände reichen. Am Tage ihrer Ankunft wird alles blühen wie noch nie, die Sanftmut wird der Trauer weichen. Ausgelöscht sind dann die Schmerzen dieser Nacht. Damit der Mond sich dem vollkommnen Berg vermähle. Die verzückten Augen kommen nicht los von dieser Pracht in einer Kommunion von Geist und Seele. Nicht gekommen ist die Geliebte, nie wird sie Leseprobe
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