Beschreibung
Ein Klangdesigner für Autos, der in Dubai bei der Entwicklung eines Prototyps nicht nur seinen Job verliert; das frisch getrennte Paar, das sich im spätsommerlichen Paris immer weiter voneinander entfernt; eine nächtliche Passantin, die sich beim Anblick einer Straßenskulptur ihrem toten Vater gegenübersieht: In 13 kraftvollen, berührenden und verstörenden Erzählungen trifft der Lärm der Alltagswelt auf Abgründe der Stille - ein Zusammenprall, aus dem eine neue, eindrückliche und ungewöhnlich welthaltige Stimme der deutschsprachigen Literatur entsteht.Das fulminante Debüt einer preisgekrönten jungen deutschen Autorin
Autorenportrait
Christiane Neudecker, geb. 1974, studierte Theaterregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und lebt als freie Schriftstellerin und Diplom-Regisseurin in Berlin. Seit 2001 arbeitet sie mit dem Künstlerkollektiv phase7 zusammen, u.a. am Forum Neues Musiktheater, bei den Internationalen Festspielen Bergen oder dem New Vision Arts Festival Hongkong. Für die Deutsche Oper Berlin verfasste sie das Libretto zu 'Himmelsmechanik - eine Entortung'. Christiane Neudecker wurde für ihre Romane und Kurzgeschichten mit zahlreichen Literaturpreisen gewürdigt. Ihr neuer Roman 'Der Gott der Stadt' (2019) wurde bereits im Vorfeld mehrfach ausgezeichnet, die zuletzt erschienene 'Sommernovelle' (2015) erreichte die SPIEGEL-Bestsellerliste und war NDR Buch des Monats.
Leseprobe
In der Stille ein Klang Wie das klingt. Wenn einer dir gegen?bersteht, der dir sagt, du sollst gehen. Ganz still wird es dann. Du lauschst auf den Nachhall, der nicht kommt. Der ausbleibt im nachschwingenden Schweigen. Ein Schweigen, das dr?hnt, m?chte man meinen. Das die T?ne freisetzt, die in dir sind. Sind vielleicht Worte, die T?ne. Die gesagt werden m?ssten. Die du anbieten solltest, wie du wei?, zur Erwiderung. Du aber drehst sie nur in dir, die Worte, und legst sie beiseite, w?end du starr stehend horchst. Dich wunderst. ?er das Get?se der Stille. Dass er dort steht. Immer noch steht er schweigend anderswo, obwohl er l?st in seiner Wohnung sitzt. In seiner K?che, an dem Tisch, vor der Tasse, die leer ist. Sitzend steht er da und denkt an Reisen. ?er die man sagt: die Seele kommt nach. Denn Seelen, hei? es, laufen zu Fu? Kann aber sein, dass die Seele feststeckt, denkt er. Dass sie eingefroren ist im Moment danach. Dass eine Stille von solcher Heftigkeit Seelen verschreckt. Weswegen sie starr bleiben, still stehen, nicht loslaufen, wie sie sollten. L?erlich findet er sich. Sich so denken zu h?ren. Und doch ist er froh, dass er denkt, immerhin. Dass wieder S?e lautstark seine Gedanken durchkreuzen. Denn Stille, begreift er, g?liche Stille ist erst dann m?glich, wenn man aufh?rt zu denken. Eine Stille, die auffrisst, ist das, so denkt er. Ein L?. Lautlos wollten sie sein. Die T?r, sagten sie, m?sse schweigen. Die T?r. ?er den Klang des Motors war man sich vorher einig geworden. Noch in Deutschland hatten sie festgelegt, dass er grollen sollte. Ein aufbrausendes Donnern zu sommerlicher Nacht. ?Markig?, hatte der Oberste von allen es genannt und dabei seine Arme in die Luft gesto?n. Und: ?M?lich?, immer wieder. Der Sound sollte im Sub-Bereich liegen. ?Sound? war ein Wort, das sie gerne benutzten. Er verwendete es nie. Basslastige Kl?e wollten sie haben, so tief, dass sie aus der Erdkruste zu brechen schienen. Die Hosenbeine sollten den Konsumenten sp?r flattern. Ein sinnliches, ein erotisches Erlebnis. ?Da muss einem einer abgehen?, hatte der Oberste gerufen. Er verstand, was sie wollten. Und wusste schon, welche K?fe ihm bl?hten. Mit den Ingenieuren, die stolz waren auf das leise Surren, das sie in feinf?hliger Arbeit erreicht hatten. Ein lautloser Motor, sacht wie das Vor?berschwirren eines Kolibris. Er w?rde ihre Arbeit zerst?ren. Hier ging es um einen Gel?ewagen. Einen Bezwinger. Der konnte nicht leise daherrollen. R?hren w?rde er m?ssen, mit der ungez?gelten Kraft eines br?nftigen Hirsches. ?Br?nftig!?, hatte der Oberste gedr?hnt und ihm auf die Schulterbl?er geschlagen, ?br?nftig! Wir verstehen uns, mein Sohn.? Auch die Innenausstattung hatten sie besprochen. Das leichte Klacken beim Aktivieren der Lenkradsperre. Das pulsierende Pochen des Blinkers. Das beruhigend nachstreifende Ticken der Scheibenwischer, von innen vernommen. Das vollmundige Vibrato zur?ckschnalzender Metallfedern. Ein nahezu unmerkliches Rauschen, das anschwillt zur Senkung des Fu?s auf dem Gaspedal. Ein leises Interieur, das Raum l?t f?r das Herzst?ck: den Motor, der von innen geheimnisvoller zu klingen hatte als von au?n. Niemals durfte er aufheulen. Lust musste h?rbar werden, in gez?gelter, verschleierter Form. Das Fauchen im K?g kurz vor dem Ausbruch. Der Oberste formulierte es anders: ?Keine blanken Titten.? Er verstand. Und legte dem Obersten dessen Worte in den Mund. Er suche den durchsichtigen Stoff, der nichts zeige, aber alles erahnen lie?. Der Oberste nickte begeistert: ?Ich will die Fahrer sabbern sehen.? ?er die Handbremse gerieten sie in einen Wortwechsel. Sie hatten sich anderes vorgestellt als er, wollten ein feines Ratschen, im Einklang mit den ged?ften Lauten des Wageninneren. Er empfahl ein Aufbocken, harsch, fast schon ein Krachen. Die Handbremse markiere einen Schlusspunkt, setzte er ihnen auseinander. Sie zeige Entschlussfreudigkeit und verk?nde das Erreichen des Ziels, da sie zumeist nur zum Parken genutzt werde, wie Leseprobe