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Der arbeitende Nutzer

Über den Rohstoff des Überwachungskapitalismus

Erschienen am 17.01.2020, 1. Auflage 2020
29,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593512372
Sprache: Deutsch
Umfang: 174 S.
Format (T/L/B): 1.2 x 21.3 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Am Überwachungskapitalismus sind alle, die einen Computer, ein Smartphone oder andere digitale Geräte nutzen, beteiligt. Sie arbeiten unbewusst Big-Tech-Konzernen bei der Gewinnung, Aufbereitung, Verarbeitung und Lieferung eines neuen Rohstoffs zu, der aus den digitalen Anwendungen von Nutzerinnen und Nutzern in all ihren Lebensbereichen gewonnen wird. Im Rahmen ihrer alltäglichen Lebensführung agieren sie, wie dieses Buch in Auseinandersetzung mit der amerikanischen Ökonomin Shoshana Zuboff zeigt, in vielfältiger Weise als Hilfskräfte der Konzerne und haben dadurch als 'arbeitende Nutzer' eine wichtige Funktion im Überwachungskapitalismus - ob sie wollen oder nicht.

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Leseprobe

Vorwort Der von mir hier vorgelegte Text hat eine Vorgeschichte. Noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin drückte man mir in meiner Buchhandlung Anfang 2018 die soeben gelieferte Studie von Shoshana Zuboff zum 'Überwachungskapitalismus' in die Hand. Ich hatte das Buch erst einige Tage zuvor bestellt und war erstaunt, es so schnell zu bekommen. Wieder zu Hause setzte ich mich auf mein Lesesofa, um einen ersten Blick in das erschreckend dicke Konvolut zu werfen und hörte für fast eine Woche nicht mehr auf zu lesen. Als ich davon auf Twitter berichtete, erhielt ich erstaunte Reaktionen von Kollegen aus den USA, die mit einer englischsprachigen Ausgabe erst Anfang 2019 (und damit ein Jahr später) gerechnet hatten. Über die Gründe für diese interessante Publikationsstrategie kann man nur mutmaßen (ich habe dazu einige Ideen ). Der Bitte, schon mal über den Inhalt zu berichten, kam ich gerne nach - in dem Umfang, den Twitter ermöglicht. Es war sicherlich auch das winterliche Wetter, das davon abhielt, mein Sofa zu verlassen. Aber mehr noch war es meine Faszination. So ein Buch hatte ich schon lange nicht mehr in Händen gehalten. Es dauerte den einen oder anderen Tag, bis ich mich eingelesen hatte und begriff, welchen Reim ich mir auf die Studie machen sollte. Neben den 727 Seiten war es vor allem der weitreichende kapitalismusanalytische Rahmen, mit Bezügen zu vielen großen Geistern, die man als Arbeitssoziologe gerne zitiert, der mich staunen ließ. Erste spärliche Medienreaktionen in Deutschland halfen mir nicht wirklich weiter. Immerhin konnte ich Frau Zuboff in der ARD (titel thesen temperamente) kurz sehen und hören. Ich vernahm dort nun auch Zuboffs selbstbewussten Hinweis, dass man ihr Buch schon ganz gelesen haben müsse, um sie zu verstehen - womit sie völlig Recht hat. Es war dann aber weniger die sympathische Erscheinung der Professorin aus Harvard, die mich trotz aller Lesemühe bei der Stange hielt. Was mich fesselte, war vor allem der sozioökonomische Fokus mit einer ohne Zweifel steilen These. Trotz aller Faszination war ich nach der Lektüre auch irritiert und fast ein wenig deprimiert. Das Buch erinnerte an eigene aktuelle Überlegungen, etwa zu neuen 'robotisierten' Technologien. Am meisten irritierte aber, dass da nun jemand höchst umfangreich und kompetent eine Entwicklung beschrieb, über die ich einige Jahre zuvor zusammen mit Kerstin Rieder nachgedacht hatte: Die Integration von Konsumenten in betriebliche Produktionsprozesse. (Vgl. Voß/Rieder 2015) Zuboff hatte diesen Trend nun mit der neuesten technologischen Entwicklung in Verbindung gebracht, was uns damals so noch nicht möglich war. In Telefonaten wurde Kerstin Rieder und mir aber bewusst, dass uns eine andere Perspektive geleitet hatte. Es ging uns - und geht uns weiterhin - mit der These des 'arbeitenden Kunden' um die Frage, welche aktive Rolle Betroffene auf ihrer persönlichen Ebene im Rahmen neuartiger kapitalistischer Strategien genau spielen - und dazu war in der Studie von Zuboff nichts zu finden. Kerstin Rieder und mir war klar, dass man da 'was machen müsse'. Die Idee eines gemeinsamen Papers scheiterte leider daran, dass Kerstin Rieder in zahlreiche andere Aufgaben eingebunden war und sich daher keine Möglichkeit fand, schnell gemeinsam aktiv zu werden. Dass auch ich nicht wirklich über üppige Zeitressourcen verfügte, lag unter anderem an der Herausgabe eines neuen Buchs zur Lebensführungsforschung, an dem ich mit Kolleginnen und einem Kollegen arbeitete. Da ich schon vage angekündigt hatte, dazu eventuell einen Beitrag zu verfassen, geriet ich nun in die Versuchung, einen Text zur Studie von Zuboff zu schreiben. Ohne meine Kolleginnen und meinen Kollegen einzuweihen, nahm ich mir vor, Derartiges zu versuchen und konnte mich lange Zeit nicht aufraffen, auch weil mir klar war, dass das inhaltlich nicht einfach werden würde. Erst als die Mitherausgeber ungeduldig wurden, gab ich mir einen Ruck und schrieb dann fast ohne Unterbrechung über mehrere Wochen. Nach einiger Zeit musste ich mitteilen, dass ich zwar an einem Text säße, aber das Seitenlimit keinesfalls einhalten könne, was mit deutlicher Reserve aufgenommen wurde. Trotzdem blieb ich mit eher noch zunehmender Motivation aber dabei, und der Text wuchs und wuchs. Als dann die Zeit wirklich drängte, nahm ich mir die inzwischen entstandenen Seiten vor und verfasste eine Art Kondensat. Erst jetzt wurde deutlich, dass der lange Text und der Auszug durchaus die angezielte Idee transportierten: Der Überwachungskapitalismus mit seiner neuartigen Rohstoffbasis setzt eine arbeitende Beteiligung der Nutzer voraus. Das hat Parallele zur These des arbeitenden Kunden, aber die Mitarbeit der hier Betroffenen nimmt völlig andere Formen an. Hinzu kommt, dass mit Blick auf die Nutzer der Stoff, um den es Zuboff geht (den sie 'Verhaltensüberschuss' nennt), fundamental anders verstanden werden kann und deshalb auch anders bezeichnet werden sollte. Nun liegt ein umfangreicherer Text vor, der in Form eines Essays versucht, die Studie aus Harvard soziologisch subjektorientiert zu unterfüttern. Kern ist erst einmal eine Darstellung der Zuboffschen Thesen und dann Ergänzungen um Annahmen zu einer alltagsnahen persönlichen Produktionsökonomie, durch die überwachungskapitalistische Konzerne erst zu ihrem neuen 'Rohstoff' kommen, der hier als alltägliche menschliche 'Lebens-Spuren' verstanden wird. Um dies nachvollziehen zu können, ist zugleich an einigen Stellen eine etwas umfangreichere Vorstellung der Subjektorientierten Soziologie und dort entwickelter Thesen erforderlich. Beides zusammen könnte nun eine bis auf die Ebene der Subjekte und ihrer Alltäglichen Lebensführung zielende sozioökonomische Analyse des sich abzeichnenden Überwachungskapitalismus ergeben, der so gesehen vielleicht tatsächlich ein neuer Kapitalismus ist, dessen erste Anzeichen wir gerade erleben. Da der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts aus subjektorientierter Sicht schon seit einiger Zeit charakteristische neuartige Formen gesellschaftlicher Arbeitskraft und damit auch neuartige Ausprägungen von Subjektivität hervorbringt (Arbeitskraftunternehmer, arbeitende Kunden und aktuell arbeitende Roboter), denen nun mit dem arbeitenden Nutzer eine neue Figur hinzugesellt wird, könnte eine breiter angelegte Einschätzung der sich abzeichnenden Verhältnisse möglich werden. Warum das mit einer deutlichen politischen Botschaft verbunden wird, sollte beim Lesen hoffentlich deutlich werden. Auch diesmal hat der Autor vielen Menschen für ihre Unterstützung zu danken. Dieser Dank gilt hier für hilfreiche Hinweise oder informelle Textelemente zu einzelnen Inhalten vor allem Alma Demszky, Georg Jochum, Christian Papsdorf, Kerstin Rieder, Margit Weihrich und Laura Voß sowie für ihre überaus hilfreiche Lektoratsunterstützung Eva Scheder-Voß mit der Unterstützung von Christa Heinzelmann. Für alle Unzulänglichkeiten des Textes ist allein der Autor verantwortlich und bittet dafür um Nachsicht.* GGV, München, im September 2019 * Der erwähnte kurze Beitrag erscheint voraussichtlich Anfang 2020 in einem von Jochum/Jurczyk/Voß/Weihrich herausgegebenen Band zu 'Transformationen Alltäglicher Lebensführung'. 1. Einführung Die weitreichenden technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die seit geraumer Zeit in Kalifornien stattfinden, haben sich auch in Deutschland herumgesprochen. Während man sich in Europa - noch eher moderat und reichlich uneinig - um entgehende Steuereinnahmen und die konkurrenzgefährdende Marktmacht der neuen Quasi-Monopole, manchmal auch um den Datenschutz und die bedrohte Privatheit Sorgen macht, klingt die Meinung dazu zumindest in der Umgebung von San Francisco teilweise inzwischen schon wieder wesentlich radikaler: Dort schlägt die euphorische Begeisterung über 'Big Tech' selbst innerhalb des Kernbereichs der digitalen Industrie, wie es scheint, langsam in eine neuartige Technikkritik um ('Techlash'). Auf beiden Seiten des Atlantiks stellen sich ...

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