Beschreibung
Im 20. Jahrhundert wurden weltweit etwa 50 000 Staudämme gebaut. Sie veränderten Landschaften grundlegend und irreversibel, sie regulierten das Leben von Millionen von Menschen. Benjamin Brendel arbeitet in seiner Globalgeschichte dieser riesigen Infrastrukturprojekte heraus, dass deren Erfolg und Sicherheit - heute gelten sie als Kraftwerke zur Gewinnung "grüner" oder "blauer" Energie - zusammen mit den Bauwerken selbst konstruiert wurden. Seine Fallbeispiele - der Grand-Coulee-Damm in den USA (1933 - 1941), der Damm von Mequinenza in Spanien (1955 - 1961) und der Assuan-Damm in Ägypten (1960 - 1971) - belegen darüber hinaus, dass Dämme unabhängig von politischen Systemen als Herrschaftsinstrumente fungierten. Ausgewählt für die Shortlist des Opus Primum - Förderpreis der VolkswagenStiftung für die beste Nachwuchspublikation des Jahres 2019
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Autorenportrait
Benjamin Brendel ist wiss. Mitarbeiter am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) und am Historischen Institut der Universität Gießen.
Leseprobe
Aufbau 1. Projektentwurf Staudämme gelten ihren Befürwortern als paradigmatische Projekte technischen Erfolges; zugleich werden die Konstruktionen von ihren Gegnern verteufelt und als gewaltsamer Eingriff in die Umwelt und in die Gesellschaft wahrgenommen. Diesem Konflikt zum Trotz werden gegenwärtig Staudämme in verstärktem Maß gebaut, in einer Dimension, die bisherige Projekte weit in den Schatten stellt. "Tadschikistan. Präsident baut Riesen-Staudamm", berichtete der Spiegel Ende Oktober 2016. Mit "Tajikistan's Rogun: Building the world's tallest dam" steigerte BBC online die Projektbeschreibungen weiter. Zentralasien stehe möglicherweise vor einem regionalen und dammbedingten Wasserkonflikt, dagegen hofften die Initiatoren des Dammes darauf, über Ländergrenzen hinweg zum regionalen Stromversorger aufzusteigen. Zeitgleich war zu lesen, dass auch Afrika mit dem Renaissance-Damm in Äthiopien ein neues Energieprojekt erhalte, dieses Kraftwerk weit über das Land auf den Kontinent ausstrahlen würde und gar der "Konflikt um Nilwasser" die Anrainer zur Zusammenarbeit verdamme. Historisch sind solche Meldungen keineswegs neu und vorbildlos, sie durchziehen genauso wie die hydrotechnischen Konstruktionen, von denen sie berichten, das 20. Jahrhundert als ein prägendes Element gesellschaftlichen Wandels, denn auch jenseits des politischen Rahmens, auf lokaler Ebene, sind Staudämme konfliktgeladene Bauwerke. Für viele Menschen in unmittelbarer Umgebung zu den Bauwerken und noch weit von ihnen entfernt veränderten Staudämme alltägliche Gegebenheiten, sie formten Lebensweisen grundlegend neu. Als Projekte, die große Investitionen nötig machten, wurden und werden Staudämme in aller Regel staatlich finanziert und vor allem von den staatstragenden Eliten befürwortet und vorangetrieben. Die Attraktivität für staatliche Akteure lag darin begründet, dass die Bauwerke als Erfolgsprojekte galten. Sie sollten Elektrizität generieren, um die Gesellschaft zu modernisieren oder durch Bewässerung das Land und das Leben der darauf siedelnden Menschen umzugestalten. Tiefgreifende Veränderungen waren in den Augen der staatstragenden Elite insbesondere dann wichtig, wenn Krisen sie unter Handlungsdruck setzten. Staudämme boten diesbezüglich ein vielversprechendes Mittel der Agitation. Dabei hatten Staudämme ein ständiges Legitimationsproblem, das sich in drei Ebenen einteilen lässt. Mit den neuen Dimensionen der Projekte, welche die Nutzungsmöglichkeit von Stahlbeton zum Ende der 1920er-Jahre boten, wurde mit jedem Größenrekord wie der höchsten oder längsten Staumauer Unbekanntes erschaffen, von dessen Funktionsfähigkeit die technischen Experten die staatlichen Führungseliten überzeugen mussten. War ein solches Projekt auf die politische Agenda gesetzt, galt es, über den Weg einer medialen Inszenierung der Bauwerke die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Schließlich entbrannten lokale Konflikte an dem Ort der Konstruktion. Auch dort musste das Projekt durchgesetzt werden, notfalls durch Gewalt. Das Legitimationsproblem des Dammes traf in Krisenzeiten das der Regierung. Dabei bedingten sich die Rhetorik zur Sinnstiftung des Dammes und der politischen Herrschaft gegenseitig. Die eingangs zitierten Zeitungsmeldungen, die sich auf Informationen staatlicher Pressemitteilungen stützen, sind Teil dieser Strategie der Befürworter der Staudämme, die Konstruktionen und die politische Herrschaft ihrer Erbauer zu legitimieren. Da staudammgetragene Veränderungspläne der gewohnten Lebensweise der örtlichen Bevölkerung zuwiderliefen und sie somit letztlich gegen den Willen vieler Menschen durchgesetzt werden mussten, entspannen sich Diskurse um die Projekte. Staatliche wie nichtstaatliche Protagonisten, die die Bauwerke befürworteten, bedienten sich dabei einer machtvollen Metaphorik, um auch von anderen Gesellschaftsgruppen Unterstützung für die Projekte zu erhalten. Die Idee der Experten, Staudämme zu bauen, und die politische Agenda, die mit ihr verknüpft wurde, mussten dabei ständig aufrechterhalten und erneuert werden, um das Bild des Erfolgsprojektes auch fortan zu erhalten. Das Ensemble an Symbolen und Bedeutungen, das zum Bau des Dammbaus geführt hatte, wurde während der Errichtung der Staumauer zu einem rhetorischen Höhepunkt getrieben und auf geringerem Maß weitergeführt, solange die Staumauer bestand. Ein Blick auf die machtvolle Metaphorik von Staudämmen während ihrer Konstruktion erscheint aus diesem Grund besonders lohnenswert, zumal diese Perspektive in der bisherigen Forschung weitgehend außen vor gelassen wurde. 2. Forschungsstand Die Geschichte des Dammbaus wurde in den vergangenen Jahrzehnten auf vielfältige Art und Weise geschrieben. Der deutschen Historikerin Julia Tischler gelang es, eine imposante Geschichte des Kariba-Dammes am Zambesi vorzustellen, die Entwicklungs(hilfe)organisationen genauso wie koloniale und lokale Akteure miteinbindet. Tischler begreift den Kariba-Damm als Mikrokosmos der Diskurse und Politiken um Entwicklung und Dekolonisierung und geht auf einer lokalen, imperialen und internationalen Ebene vor, wobei sie vielschichtige Akteurs-, Interessen- und Machtkonstellationen aufzeigt. Tischler geht davon aus, dass verschiedene Interpretationen der und Anpassungsstrategien an die Entwicklungskonzepte nebeneinander existiert haben, die zwar kolonial-rassistischen Machtstrukturen gefolgt seien, aber schließlich in verschiedenen Arenen ausgehandelt wurden. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die deutsche Historikerin Birte Förster, die Dekolonisierungsprozesse des britischen und französischen Kolonialreiches mit Blick auf Dammbauten untersucht. Sie vertritt dabei die These, dass Dammbauten als "Machtspeicher" koloniale Macht speichern und kaschieren sollten, da Macht auch unter neuen politischen Bedingungen, unter dem Denkmantel von technischer Notwendigkeit und der Modernisierungen von Infrastruktur weiterhin ausgeübt werden könnte. Auch wenn beide Arbeiten mit großer Berechtigung wichtigen Fragen nachgehen, so verkürzt ein Ansatz, der diskursive Machtverhandlungen zwischen Europa und Afrika darstellt, die Geschichte des Dammbaus, denn die Idee zu den Konstruktionen war ursprünglich nicht per se postkolonial, sondern stammte aus dem globalen Norden, wurde auch dort angewendet und zirkulierte schließlich global. Dazu sind Dammbauten nicht nur, wie es der US-amerikanische Historiker Christopher Sneddon in seinem vielbeachteten Buch Concrete Revolution annimmt, machtpolitische Instrumente des Ost-West-Konfliktes, sondern fungierten schon früher als politische Werkzeuge in den USA, der Sowjetunion und Europa selbst. Um dieses machtpolitische Werkzeug und die mit ihm verbundenen Topoi zu begreifen, muss der Blick auf die Anfänge der Ideenbildung und auf deren Umsetzung in verschiedenen lokalen Kontexten, in Europa, Nordamerika und Afrika, gerichtet werden. Andere Arbeiten fokussieren hingegen auf einzelne Staudammprojekte im globalen Norden, ohne den Blick über die Baustellen hinweg zu richten. Sie verfolgen zumeist das Ziel, die politischen und ökonomischen Hintergründe sowie technischen Erwägungen darzustellen, die hinter den Bauprojekten standen. Detailreichtum und Fakten der baulichen und politischen Ereignisse aus der Perspektive der Autoren reichern diese Geschichten häufig bis zur Sättigung und darüber hinaus an. Dazu erscheinen diese positivistischen Darstellungen bisweilen als Erfolgsgeschichten entschlossener Männer, die wahlweise über die Natur, politische Widerstände oder technische Unwägbarkeiten obsiegten. Sie liefern zwar hilfreiches Hintergrundwissen, führen bei den hier benannten Zielrichtungen jedoch nicht weiter, denn die verschiedenen Strukturen von Machtausübung werden dabei häufig ausgeblendet. Um den Ursprung dieser Strukturen zu verfolgen, sollte vielmehr der Frage nachgegangen werden, was die Idee des Staudammbaus aufkommen ließ. Auf allgemeinere Weise geschah dies bereits zu Anfang der 1960er-Jahre, als eine Fo...