Beschreibung
Zukunft ohne Leistungsethos? Wo sind die Macher geblieben? Jede Menge intelligente und gut ausgebildete junge Menschen wollen Status und Geld, aber keine Anstrengung und bloß nicht zu viel Verantwortung im Job. Posen statt Performen: Eine Pseudo-Elite, vermeintliche Säule der Zukunftsgesellschaft, ist selbstzufrieden, gierig und überschätzt sich maßlos selbst. Die wahre Leistungselite wird immer kleiner, beobachtet die BWL-Professorin Evi Hartmann. Stattdessen breitet sich epidemieartig eine Kultur der Leistungsverweigerung aus, gut getarnt als Work-Life-Balance. Wie kann es sein, dass sich in Zeiten riesiger wirtschaftlicher und politischer Herausforderungen immer mehr Menschen zurücklehnen statt anzupacken? Hartmanns Buch ist ein Aufruf für ein neues Leistungsethos und ein verschärftes Leben - nicht nur für die Generation Y!
Autorenportrait
Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht und lehrt intensiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen, Mutter von vier Kindern und lebt in Frankfurt am Main.
Leseprobe
Es war verblüffend, in was für Überlegenheitsgefühlen man schwelgen konnte, ohne etwas geleistet zu haben. John von Düffel, Beste Jahre DAS "BLOß NICHT ÜBERARBEITEN!"-PHÄNOMEN Was haben Sie heute geleistet? Und Ihre Kolleginnen und Kollegen? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Vorgesetzten? Kunden? Wenn ich diese Fragen im persönlichen Gespräch stelle, reagieren viele Menschen mit lebhaften Gefühlen. Von Resignation und Frust über Unzufriedenheit und Unverständnis bis hin zu Wut und Rachegelüsten. Sie schildern mir auch, warum. Ein 52jähriger Projektleiter aus dem Anlagenbau zum Beispiel erzählt: "Heute haben wir drei Arbeitspakete fertiggestellt, eine Kundentagung komplett durchorganisiert und vier neue Projekte aufgelegt. Wir rackern uns hier ab, hängen uns voll rein und halten jede Deadline, aber haben einen unglaublichen Chef. Kriegt wenig zustande, ist fachlich nicht wirklich kompetent führt aber das große Wort und schreibt sich unsere Erfolge auf die eigene Fahne." Dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Führungspositionen. In vielen Bereichen der Wirtschaft ist ein solches Arbeitsverhalten Prinzip. Zum Beispiel im Projektmanagement. Die Zahlen schwanken von Unternehmen zu Unternehmen, von Projekt zu Projekt, doch grob gesagt: Von jeweils zehn Mitgliedern des Projektteams hängen sich zwei voll rein, schieben Überstunden und Wochenendarbeit und übernehmen pro Meilenstein vier, fünf Arbeitspakete - die Leistungselite. Fünf der zehn Mitglieder machen Dienst nach Vorschrift und null Überstunden, übernehmen höchstens ein einziges Arbeitspaket und würden schon den bloßen Gedanken an Wochenendarbeit mit einem Ausdruck tiefster Empörung zurückweisen. Aber das sind genau jene fünf, die in jedem Teammeeting den zwei Spitzenleistern Steine in den Weg legen, das große Wort führen, alles besser wissen und am Ende die Erfolge des ganzen Teams für sich reklamieren. Kennen Sie das? Wer kennt das nicht. Diese Leute sind überall. Da ist zum Beispiel die 27-jährige Uni-Absolventin mit exzellenter Ausbildung: Master in Internationalem Management, Praktika in drei internationalen Konzernen, zwei Auslandsaufenthalte. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie bei einem großen deutschen Mittelständler, der heftig gegen die internationale Konkurrenz und noch heftiger mit der digitalen Transformation und der Vierten Industriellen Revolution kämpft. Deshalb möchte die Geschäftsleitung der exzellent ausgebildeten, aufstrebenden jungen Frau mit den besten Voraussetzungen die Entwicklung von fünf neuen, digitalen Kundenservices an der Spitze eines Expertenteams übertragen. Das möchte das Unternehmen. Die junge Frau möchte das nicht. Sie lehnt das zukunftsweisende und für Existenz und Erfolg des Unternehmens strategisch wichtige Spitzenprojekt ab (das für ihre eigene berufliche Zukunft sicher auch nicht gerade schädlich wäre). Weil sie schon mit ihrem normalen Job gut ausgelastet ist. Ihre Vorgesetzte ist erst einmal baff, als sie das hört: "Entschuldigung, das sind wir alle! Oder hat jemand von uns täglich noch eine Stunde frei? Hand hoch? Irgendjemand?" Ich verstehe den Sarkasmus der Vorgesetzten. Sie dachte vor bald drei Jahren, dass sie mit der jungen, bestens ausgebildeten und in anderen Belangen durchaus auch ehrgeizigen jungen Frau eine Spitzenkraft eingestellt habe. Das bezweifelt sie inzwischen. Deshalb leitet das Projekt für die neuen Services jetzt eine Produktmanagerin: Die ist ebenfalls gut ausgebildet, ebenfalls "schon mit ihrem normalen Job" mehr als gut ausgelastet - aber sie will das Projekt übernehmen. Sie will diese Extraleistung bringen, ist motiviert: "Digitale Transformation? Alle reden darüber, alle machen das, und ich kann ganz vorne und maßgeblich mit dabei sein? Mach' ich! Ich verstehe die Kollegin nicht, die kneift. Ist das die berühmte Generation Y? Wenig leisten, viel feiern?" Schön wär's ja. Dann wäre das Problem "nur" auf eine Generation beschränkt. Tatsächlich aber zieht sich das "Bloß nicht überarbeiten!"-Phänomen durch alle Altersschichten und Hierarchieebenen, Branchen, Berufsgruppen, Unternehmen, Verbände, Vereine und Familien: Einige sind voll dabei, übernehmen Verantwortung und Aufgaben und bringen Leistung, während andere gerade einmal das Nötigste erledigen. Wohlgemerkt: Nicht, weil sie nicht könnten, am Ende ihrer Kräfte oder dem Burn-out nahe sind. Nein, wer objektiv nicht kann oder überfordert ist, den und die nehme ich ausdrücklich von jedem Vorwurf und den Überlegungen auf allen folgenden Seiten aus. Ich meine vielmehr jene, die von ihren Voraussetzungen, Qualifikationen und Fähigkeiten her durchaus in der Lage sind, die gestellten Aufgaben zu erledigen. Sie tun es bloß nicht. Und sie leiden auch nicht darunter, dass sie es nicht tun. Im Gegenteil. Es geht ihnen gut, blendend sogar. Ist ja auch logisch: Wenn jemand eine Aufgabe, eine Verantwortung nicht übernimmt, dann erspart er oder sie sich damit erst einmal Aufwand, Stress und Energie - die dann ein anderer aufbringen muss. Denn in Beruf und Leben werden ja (meist) keine Luxusaufgaben verteilt, auf die man gut und gerne auch verzichten könnte. Was muss, das muss. Und wenn das der Leistungsverweigerer nicht macht, dann muss es eben jemand anderes übernehmen - zum Beispiel Sie und ich. Wir müssen einspringen, wenn andere kneifen. Dieses Kneifen beginnt schon ganz früh. So gilt die erste Kandidatenfrage in Vorstellungsgesprächen heute oft nicht mehr dem Gehalt (also dem Leistungsäquivalent), sondern der Überstundenregelung (also einem Freizeitäquivalent). An den Universitäten verhält es sich nicht anders: Viele Studierende kommen nicht zum vereinbarten Gesprächstermin des Briefings für ihre Masterarbeit. Sie tippen danach, praktisch ohne professorale Maßgabe und nach Gutdünken, ihre Seiten runter, und wenn am Ende nicht die Wunschnote herauskommt, fangen sie mit Verve an nachzukarten und nachzuverhandeln - anstatt diesen Fleiß von vorneherein in Briefing, Abstimmung mit dem Betreuer, Recherche und Textgestaltung einfließen zu lassen. Personalchefs von Unternehmen sind mit dem "Bloß nicht überarbeiten!"-Phänomen bestens vertraut. Der Personalvorstand eines Konzerns zum Beispiel beugte sich beim Pausenkaffee einer Fachveranstaltung über den Stehtisch und raunte: "Können Sie sich das vorstellen? Wir interviewen einen Kandidaten für eine Großprojektleitung, 23,5 Millionen Budget, sechsstelliges Gehalt, und der fragt mich doch tatsächlich, ob Überstunden abgegolten oder abgefeiert werden - er frage wegen des Freizeitwerts der Stelle! Ich wäre fast vom Stuhl gefallen. Würden Sie so jemanden einstellen? Würden Sie so jemandem ein Millionenprojekt anvertrauen? Jemandem, der schon beim ersten Gespräch nicht über seine Leistungsbereitschaft redet, sondern über seine Freizeitbereitschaft? Mensch, die Arbeit ist doch nicht weniger geworden, bloß weil jetzt alle nach Work-Life-Balance rufen!" Die Arbeit ist in vielen Unternehmen nicht weniger, sondern mehr geworden, zum Beispiel wegen der Digitalisierung. In der aktuellen, regelmäßig erscheinenden "Change-Fitness-Studie" der Wiesbadener Unternehmensberatung Mutaree geben zum Beispiel 79 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass sie für die ihnen zusätzlich aufgebürdeten digitalen Change-Projekte keinerlei Entlastung im Tagesgeschäft erfahren:1 Die Projekte werden einfach obendrauf gepackt. Und eben nicht allen Beschäftigten im gleichen Maße, sondern meist einer kleinen Gruppe Leistungsträgern, die sowieso schon mächtig unter Druck stehen: und seit der Digitalisierung nun eben noch ein wenig - oder sehr viel - mehr. Der USForscher Robert Paulsen fand heraus, dass in der Arbeitswelt und insbesondere in deren Büros vielfach eine Kultur der Verlogenheit und Leistungsvermeidung vorherrscht. Viele der Auskunftspersonen seiner Studie2 gaben an, keinen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen und lediglich zur Arbeit oder ins Büro zu gehen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Paulsen bestätigt die Beobachtung, dass darüb...