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Von Gott und der Welt verlassen

Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan, Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 25

Erschienen am 15.09.2015, 1. Auflage 2015
34,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593504681
Sprache: Deutsch
Umfang: 299 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 22 x 14.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Fritz Bauer (1903 - 1968), Jude, Sozialdemokrat, Justizjurist, von den Nazis 1936 vertrieben, 1949 aus dem Exil zurückgekehrt, um am Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens tatkräftig mitzuwirken, setzte seine Hoffnungen auf die junge Generation. In Thomas Harlan (1929 - 2010), dem rebellischen Sohn des Nazi-Regisseurs Veit Harlan (1899 - 1964), der sich zeitlebens an der NS-Vergangenheit abarbeitete, sah Bauer ein Vorbild für die Jugend. Er schloss Freundschaft mit Harlan und unterstützte den Schriftsteller nach Kräften. Seine Briefe an Thomas Harlan zählen zu den wenigen erhaltenen Schreiben dieser Art von Bauers Hand, sie zeigen einen bis heute weithin unbekannten, privaten Bauer.

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Autorenportrait

Werner Renz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut. Michael Farin ist Autor und Verleger.

Leseprobe

Am Rande des Lebens: Fritz Bauer Werner Renz "Durch Deinen Wuschelkopf kann ich nicht fahren." Bauer an Harlan Für Recht und Gerechtigkeit zu arbeiten und zu leben war Fritz Bauers Credo. Nicht allein in seinem Amt, auch im Alltag strebte er danach, die Ideale der Französischen Revolution zur Geltung zu bringen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren ihm Werte, die aus der zu wahrenden Würde eines jeden Menschen erwuchsen. Frei, gleich und solidarisch konnten Menschen Bauer zufolge jedoch nur sein und leben, wenn der demokratische Staat ein Höchstmaß an Pluralismus garantierte. Zeitlebens begriff sich Bauer als Anwalt des Menschen und seiner Grund- und Menschenrechte gegenüber privater und insbesondere staatlicher Willkür. Bauer in einer kurzen Einführung zu seinen Briefen an Thomas Harlan einigermaßen gerecht zu werden ist ein schwieriges Unterfangen, war er doch eine überaus komplexe Persönlichkeit. Wer in ihm einzig den Justizjuristen, gar ausschließlich den "Nazi-Jäger" sieht, verkennt den Menschen Bauer vollkommen und wird durch die Briefe eines Besseren belehrt. Als im Mai 1945 Deutschland militärisch besiegt, jedoch keineswegs mental vom Nazismus befreit war, drängte es den Exilanten Bauer, die Rückkehr in die "Heimat" anzutreten. Für den 1933 aus dem Staatsdienst vertriebenen Juristen gab es als sicheren Neuanfang nach über zehn Jahren Exil allein den Justizdienst. In seinen Ämtern als Generalstaatsanwalt bei den Oberlandesgerichten Braunschweig und Frankfurt am Main war Bauer notwendigerweise ein an das überkommene, geltende Recht gebundener Strafverfolger. Als Strafrechts- und Strafvollzugsreformer blieb er aber fortwährend ein progressiver Kriminalpolitiker, der ein der sozialen Verteidigung dienendes Behandlungsrecht forderte. Bauer strebte ein Kriminalrecht an, das sich an den Erkenntnissen der Natur- und Sozialwissenschaften orientiert, das endlich das herkömmliche Schuldstrafrecht überwindet. Als Aufklärer, Humanist und Volkspädagoge war er ein öffentlich an den Fortschritt der Wissenschaften und an die Erziehbarkeit des Menschen glaubender Optimist. Als Privatmensch, in persönlichen Äußerungen, erwies er sich aber eher als Skeptiker, der sein Tun und Lassen selbstkritisch in Frage stellte. Auch ein glühender Patriot und zugleich ein radikaler Diagnostiker der deutschen Misere ist der Menschenfreund Fritz Bauer gewesen. All dies und vieles mehr, freilich nicht als unvereinbare Gegensätze, vielmehr als essentielle Facetten einer historischen Gestalt im Jahrhundert der Barbarei. Viele Herzen schlugen in Bauers Brust. Er war ein Mann von funkelnder Intelligenz, umfassendem Wissen und klassischer Bildung, umgetrieben von heißer Menschenliebe und verzehrender Sorge um das Menschengeschlecht. Leidenschaftlich und engagiert, rastlos und unermüdlich, selbstlos und aufopfernd arbeitete und lebte er. Liest, sieht und hört man ihn, so drängt sich der Eindruck auf, dass er an der Welt und ebenso an sich selbst nicht wenig litt, dass er gewiss ein couragierter Streiter und mutiger Kämpfer, aber auch ein seelisch Verletzter und innerlich Versehrter gewesen war. Seine Briefe an Thomas Harlan legen diesen Befund überdeutlich nahe. Der 1903 in Stuttgart in ein jüdisches Elternhaus geborene Bauer politisierte sich bereits in jungen Jahren. 1920 trat der Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums der SPD bei, und nachdem er mit 18 Jahren Abitur gemacht hatte, begann er zielstrebig das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Als Student in Heidelberg, München und Tübingen engagierte er sich im "Bund Freier Wissenschaftlicher Vereinigungen", hielt Vorträge und setzte sich für die gefährdete Demokratie der Weimarer Republik ein. Zwischen den beiden Staatsprüfungen 1926 und 1928 promovierte der begabte Jurist und Wirtschaftswissenschaftler in Heidelberg bei Karl Geiler. Für den Schutz der Weimarer Republik stritt er im "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" an der Seite von Sozialdemokraten wie Kurt Schumacher. Ab 1928 war er dann bei der Stuttgarter Justiz tätig, seit 1930 als Amtsrichter. Nachdem er im März 1933 in seinem Dienstzimmer verhaftet und unter den Augen seiner stumm zuschauenden Kollegen abgeführt worden war, erlitt Bauer im KZ Heuberg und im Ulmer Garnisonsarresthaus die von den Nazis gegen ihre politischen Gegner verhängte "Schutzhaft". Nach seiner Entlassung im November 1933 war er als Sozialdemokrat und Jude den Repressionen des Regimes ausgesetzt. Vorübergehende Verhaftungen verliefen glimpflich für den Oppositionellen. Doch Bauer sah sich gezwungen, aus Deutschland zu emigrieren. Im März 1936 verließ er seine schwäbische Heimat und reiste zu seiner Schwester Margot, verheiratete Tiefenthal, die seit 1934 in Dänemark lebte. Bauer schlug sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durch und rettete sich, seine Eltern und die vierköpfige Familie Tiefenthal im Oktober 1943 nach Schweden. Der Plan der Nazis, alle Juden zu deportieren, war rechtzeitig verraten worden. Mit Fischerbooten konnten sich circa 7.000 Juden nach Schweden in Sicherheit bringen. In Stockholm schloss sich Bauer den Sozialdemokraten im Exil (SoPaDe) an, lernte Willy Brandt kennen und gründete mit ihm die Zeitschrift Sozialistische Tribüne. Sowohl in Dänemark als auch in Schweden publizierte er Bücher. Nationalökonomische Arbeiten und insbesondere sein in beiden Exilländern und in der Schweiz erschienenes Buch Die Kriegsverbrecher vor Gericht sind hier zu nennen. Thomas Harlan nahm 1960 Kontakt mit Bauer auf. Nach Polen, hinter den Eisernen Vorhang, war Harlan gleichsam geflüchtet, nachdem ihm NS-Täter wie Franz Alfred Six, im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess 1948 zu 20 Jahren Haft verurteilt und 1952 vorzeitig entlassen, mit Strafanzeige wegen übler Nachrede gedroht hatten. Harlan hatte Anfang 1959 im Anschluss an die 50. Aufführung seines Theaterstücks über das Warschauer Ghetto in der Westberliner Kongresshalle einen Aufruf an den Deutschen Bundestag verlesen, in dem er anprangerte, dass in der Bundesrepublik von der Justiz unbehelligte NS-Verbrecher lebten. Er forderte Bonn auf, die genannten Personen vor Gericht zu stellen. Der Generalstaatsanwalt Hessens war Harlan als konsequenter und streitbarer Verfolger von NS-Verbrechern bekannt. Harlans Archivstudien in Polen und sein Vorhaben, ein Werk über wohlintegrierte einstige NS-Täter zu schreiben, legten es nahe, sich an Bauer zu wenden und den Ermittlungsbehörden Informationen über seine Quellenfunde zukommen zu lassen. Harlan erstattete auch Anzeige gegen NS-Täter, auf die er bei seinen Archiv­recherchen gestoßen war. Bauer sah in Harlan ein bewundernswertes, von ihm so sehr ersehntes Beispiel für den richtigen Umgang der jungen Generation mit der NS-Vergangenheit. Bewältigung der Vergangenheit hieß für Bauer immer, politische Konsequenzen und Lehren für die Gegenwart zu ziehen. Sofern es ihm möglich war, nahm Bauer Harlans Unterstützung an und war selbst bestrebt, die Forschungsarbeit und die Publikationsvorhaben des jungen Literaten zu fördern. Obgleich die Ahndung der NS-Verbrechen nicht zu Bauers Hauptanliegen als Justizjurist zählte, sei in der Einführung und im Kontext seiner Korrespondenz mit Harlan vor allem von seinen Überlegungen zur justiziellen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit die Rede. Bauers erste Darlegungen zur Ahndung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen datieren aus den beiden letzten Kriegsjahren und reichen bis zum Urteil im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess. Die Einführung spannt den Bogen von seinen frühen Auffassungen zu seiner skeptischen und pessimistischen Bilanz, die er nach dem Frankfurter Auschwitz-Prozess zog. Bauers geradezu überschäumende Hoffnungen um 1945 endeten 20 Jahre später in Bitterkeit und Resignation. In einem Zeitschriftenbeitrag vom Februar 1945 befasste sich Bauer mit der notwendigen "Abrechnung mit den Kriegsverbrechern" und sprach sich im Namen der "deutschen Opposition" für ein...

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