Beschreibung
Der Staat ist ein ebenso wichtiger wie kontroverser Gegenstand der bundesdeutschen Politikwissenschaft. Immer wieder versuchte das Fach, sich von diesem Gegenstand zu emanzipieren. Die Studie von Andreas Anter und Wilhelm Bleek zeigt: Den oft behaupteten »Abschied vom Staat« hat es nie gegeben. Im Gegenteil, er stand immer im Zentrum der Diskussionen der unterschiedlichen Fachrichtungen. Das Buch gibt einen kompakten Überblick über die Staatstheorie der bundesdeutschen Politikwissenschaft, ihre Entwicklungen, Richtungskämpfe und Perspektiven.
Autorenportrait
Andreas Anter lehrt Politikwissenschaft an der Universität Erfurt. Wilhelm Bleek war bis 2005 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bochum.
Leseprobe
I. Der Staat der DisziplinWarum der Staat ein zentraler Gegenstand der Politikwissenschaft ist
Die Frage »Was ist der Staat?« ist für die Politikwissenschaft seit jeher eine Herausforderung. Während die Disziplin sich in theoretischer Hinsicht darum bemüht, das komplexe und abstrakte Gebilde analytisch zu erfassen, beschäftigt sie sich in praktischer Hinsicht damit, seine Anatomie, Funktionsweise und Wandlungen zu analysieren. Allerdings ist die Beschäftigung mit dem Staat deutlichen Konjunkturschwankungen unterworfen. Diese Schwankungen berühren auch die Bewertung des Gegenstandes. In einem Teil der rechts- und sozialwissenschaftlichen Literatur hatte man es sich eine Zeitlang mit der Auffassung bequem gemacht, der Staat »verschwinde« oder sei gar bereits verstorben, so daß man sich nun auch gedanklich von ihm verabschieden könne. Zeitweise hatte sich die Gattung der »Abschiedsliteratur« etabliert, in der Politikwissenschaft ebenso wie in der Jurisprudenz oder in der Soziologie. Das Manko dieser Literaturgattung aber ist, daß sie auf einer verzerrten Wahrnehmung beruht, denn der Staat ist ja ersichtlich lebendig. Allerdings hatte diese Literaturgattung eine paradoxe Wirkung, da die Staatstheorie umgehend zu neuem Leben erwachte und wieder in den Mittelpunkt des sozialwissenschaftlichen Interesses rückte.
Bei dieser Literatur handelt es sich nicht um einen backlash; hier wurde kein überkommenes Denken restituiert, etwa ein paternalistisches Staatsverständnis. Die neueren Versuche zeichnen sich vielmehr durch eine reflektierte Sichtweise aus, die die Ambivalenzen des Staates ebenso im Blick hat wie die Normativität seiner Existenz.
Im Blick auf den Verlauf der Staatsdebatte ist in den letzten beiden Dekaden eine interessante Parallelität von Abschieds- und Comeback-Literatur zu beobachten. Dabei kann man im Blick auf letztere eigentlich gar nicht von einem »Comeback« sprechen. Schließlich war der Staat ja nie abwesend; sein vermeintliches Verschwinden war immer nur die Folge einer Wahrnehmungsstörung. Zwischen Abschieds- und Renaissance-Diagnosen besteht ein deutlicher Zusammenhang, denn wer das Ende des Staates verkündet, der wird entsprechend rasch seine Wiederkehr ausrufen müssen. Da bereits die Diagnose vom »Abschied« falsch war, ist zwangsläufig auch der Topos der »Rückkehr« zu relativieren.
Selbst das häufig als Indiz für seine »Renaissance« gefeierte Handeln des Staates in der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise führte eigentlich nur sein Alltagsgeschäft vor Augen: Der Staat verstaatlicht Banken, rettet Konzerne und reguliert Märkte, so wie er in anderen Feldern auch Bildungsstandards setzt, Klimagipfel veranstaltet, den Terrorismus bekämpft und militärisch in Krisenregionen interveniert. Wer sich mit der einschlägigen Literatur zum vermeintlichen »Ende des Staates« beschäftigt, kann sich nur darüber wundern, wie es zu diesem Realitätsverlust von ganzen Teilen der Disziplin kommen konnte.
Im Blick auf die Frage nach dem gegenwärtigen Zustand des Staates sind naturgemäß begriffliche und epistemologische Fragen relevant, da jede Erkenntnis immer davon abhängt, was unter dem jeweiligen Gegenstand überhaupt verstanden wird. Wenn man ihn als ein Gebilde versteht, das wie eine preußische Staatsmaschine gebaut ist, dann wird man zu einem anderen Ergebnis kommen, als wenn man ihn beispielsweise als ein Ensemble von öffentlichen Aufgabenträgern begreift. In der gegenwärtigen Debatte um den Charakter und die Aufgaben des Staates erweist sich jedenfalls, wie richtig Hermann Heller lag, als er sagte, Politikwissenschaft sei »grundsätzlich ohne eine ausdrückliche oder auch stillschweigend vorausgesetzte Staatslehre nicht möglich«. Wie treffend diese Diagnose ist, zeigt auch die Entwicklung der bundesdeutschen Politikwissenschaft, die in ihren Anfängen eine Demokratie- und Staatswissenschaft sein wollte, sich zwischenzeitlich zaghaft vom Staat zu emanzipieren versuchte, um sich aber doch in ihrer theoretischen wie empirischen Arbeit immer wieder auf ihn einzulassen.
Unsere Darstellung nimmt diese disziplinäre Entwicklung in den Blick, wobei die bundesdeutsche Politikwissenschaft, vor allem in ihren Anfängen, keineswegs das Bild einer scharf umrissenen Disziplin bietet, die von diplomierten Politologen betrieben worden wäre. Vielmehr kamen die meisten Fachvertreter, die das Fach in den fünfziger und sechziger Jahren an den Universitäten wieder etablierten, aus der Rechtswissenschaft, der Philosophie oder Soziologie. So handelte es sich bei ihrer Begrifflichkeit, ihrer Methodik und ihren Fragestellungen oft zunächst um Importe aus ihren jeweiligen Herkunftsfächern. Es ist zwar in den Anfängen nicht immer möglich, von »der« Politikwissenschaft zu sprechen, aber mit der Institutionalisierung als Universitätsfach und der damit verbundenen Expansion und Differenzierung entwickelte sich bald eine fachliche Identität.
Inhalt
InhaltVorwort 7I. Der Staat der Disziplin 9Warum der Staat ein zentraler Gegenstand derPolitikwissenschaft istII. Der Staat als Fundament 17Welche Rolle der Staat in der Politikwissenschaft derNachkriegszeit spielteIII. Der Staat als Instrument 43Warum die neomarxistische Politikwissenschaft der1960er und 1970er Jahre auf den Staat setzteIV. Der Staat als Artefakt 63Welche Rolle der Staat seit den 1960er Jahren in derSystemtheorie spieltV. Der Staat der Policies 71Wie die Policy Analysis seit den 1970er Jahren dieStaatstheorie modernisierteVI. Der Staat als Institution 89Die Bedeutung der institutionalistischen Wende der1980er Jahre für die StaatstheorieVII. Der unverzichtbare Staat105Warum die Staatstheorie eine normative Angelegenheit istVIII. Der permanente Staat 115Warum der Staat nach wie vor ein zentraler Gegenstandder Politikwissenschaft istLiteratur 123Namenregister145
Informationen zu E-Books
„E-Book“ steht für digitales Buch. Um diese Art von Büchern lesen zu können wird entweder eine spezielle Software für Computer, Tablets und Smartphones oder ein E-Book Reader benötigt. Da viele verschiedene Formate (Dateien) für E-Books existieren, gilt es dabei, einiges zu beachten.
Von uns werden digitale Bücher in drei Formaten ausgeliefert. Die Formate sind EPUB mit DRM (Digital Rights Management), EPUB ohne DRM und PDF. Bei den Formaten PDF und EPUB ohne DRM müssen Sie lediglich prüfen, ob Ihr E-Book Reader kompatibel ist. Wenn ein Format mit DRM genutzt wird, besteht zusätzlich die Notwendigkeit, dass Sie einen kostenlosen Adobe® Digital Editions Account besitzen. Wenn Sie ein E-Book, das Adobe® Digital Editions benötigt herunterladen, erhalten Sie eine ASCM-Datei, die zu Digital Editions hinzugefügt und mit Ihrem Account verknüpft werden muss. Einige E-Book Reader (zum Beispiel PocketBook Touch) unterstützen auch das direkte Eingeben der Login-Daten des Adobe Accounts – somit können diese ASCM-Dateien direkt auf das betreffende Gerät kopiert werden.
Da E-Books nur für eine begrenzte Zeit – in der Regel 6 Monate – herunterladbar sind, sollten Sie stets eine Sicherheitskopie auf einem Dauerspeicher (Festplatte, USB-Stick oder CD) vorsehen. Auch ist die Menge der Downloads auf maximal 5 begrenzt.