Beschreibung
Der Vergleich als Methode ist grundlegend für die Sozialwissenschaften und daher auch fester Bestandteil des politikwissenschaftlichen wie soziologischen Studiums. Dieser Reader versammelt 20 wichtige Texte zum Thema aus fünf Jahrzehnten. Dabei nimmt er zum einen Kategorien und Methoden vergleichender Analyse in den Blick, zum anderen die drei Makrostrukturen Staat, Kapitalismus und Demokratie als zentrale Gegenstandsbereiche. Die zumeist konzeptionell angelegten Texte - von Robert Alford bis Colin Crouch, von Stein Rokkan bis Gøsta Esping-Andersen, von M. Rainer Lepsius bis Kathleen Thelen - werden durch die Herausgeber ausführlich kommentiert und um weiterführende bibliografische Hinweise ergänzt. Damit bietet der Band eine kompakte Literatursammlung zur vergleichenden Sozialwissenschaft und stellt zugleich auch eine ideale Grundlage für entsprechende Seminare in soziologischen und politikwissenschaftlichen Bachelor- und Masterstudiengängen dar.
Autorenportrait
Jens Borchert (links) ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Soziologie und Staatstheorie an der Universität Frankfurt. Stephan Lessenich ist Professor für Vergleichende Gesellschafts- und Kulturanalyse am Institut für Soziologie der Universität Jena.
Leseprobe
Angesichts der skizzierten Entwicklungen und Tendenzen ist gerade jener Ausschnitt der sozialen Realität, dem die vergleichende Sozialwissenschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorrangig ihr Interesse gewidmet hat und der in- sofern als maßgeblicher Bezugspunkt der einschlägigen Konzept- und Methodenentwicklung gelten kann, nämlich die Welt (bzw. genauer: die unterschiedlichen Welten) makrosozialer Strukturbildungen moderner nationalstaatlich verfasster Gesellschaften, nach wie vor von unverminderter Relevanz. Die drei gesellschaftlichen Makrostrukturen Staat, Kapitalismus und Demokratie, die wir in diesem Band vermittelt über klassische komparative Texte thematisieren, sind insofern keineswegs willkürlich ausgewählt: Der Wirkungszusammenhang zwischen diesen drei Makrostrukturen, ihren Entstehungsbedingungen und Entwicklungsfaktoren, die Vielfalt ihrer institutionellen Ausprägungen und historischen Wandlungen, ihre internen wie externen Komplementaritäts- und Spannungsverhältnisse bilden den Kern des Forschungsfeldes vergleichender Sozialwissenschaft heute (vgl. unseren einführenden Beitrag zu Teil 2 dieses Bandes). Und es ist sicher kein Zufall, dass die sich daraus ergebenden Thematiken genau im Grenzbereich der beiden sozialwissenschaftlichen Disziplinen Politikwissenschaft und Soziologie liegen, wie die Texte dieses Bandes nachdrücklich demonstrieren. Daraus ergeben sich entsprechende forschungs- und lehrpraktische Konsequenzen - zu denen einerseits die Notwendigkeit zählt, die Berührungspunkte und Überschneidungen zwischen den beiden Fächern gerade auch in der Lehre zu thematisieren, anderseits jene, die vergleichende Sozialwissenschaft der Gegenwart als kontextsensible und kategorial relationierende Gesellschafts- und Politikanalyse zu deuten. Was heißt das praktisch? Bezogen auf das Verhältnis der beiden Fächer zu- einander bedeutet es die Einsicht, dass das in letzter Zeit, im Zuge verstärkter Konkurrenz um knappe Mittel, deutlich verschlechterte Verhältnis von Politikwissenschaft und Soziologie an den meisten deutschen Universitäten eine höchst unglückliche und kontraproduktive Entwicklung darstellt. Die Versuchung, sich im Zeichen verschärfter Konkurrenz auf Kosten des jeweils anderen Faches einigermaßen schadlos zu halten, erwies sich an vielen universitären "Standorten" offenbar als übermächtig. Wir halten dies für eine fatale Entwicklung. Die realen gesellschaftlichen Entwicklungen verweisen beide Sozialwissenschaften (zu denen je nach Selbstverständnis und Ausrichtung natürlich auch weitere Disziplinen ge- hören können) eigentlich mehr denn je aufeinander; im Bereich der vergleichenden Sozialforschung gilt das in besonderem Maße. Aber auch die in diesem Band nachgezeichnete paradigmatische Spaltung in zwei Lager vergleichender Sozialwissenschaft innerhalb beider Disziplinen ist wenig hilfreich. Ganz gleich, ob das Forschungsinteresse nun primär den Beson- derheiten des Einzelfalls oder aber den Gemeinsamkeiten einer ganzen Gruppe von Fällen gilt: In jedem Fall ergeben sich die Besonderheiten des Einzelfalls aus der nur in Relation zu anderen Fällen sich herauskristallisierenden, je spezifischen Konstellation von Merkmalen bzw. Merkmalsausprägungen. Und die soziale Bedeutung und Relevanz eines von einer Gruppe von Fällen gemeinsam geteilten Merkmals wiederum erschließt sich nur in der kontextualisierenden Rekonstruktion des Zusammenwirkens desselben mit anderen Elementen eines sozialen Zusammenhangs. Insofern bedarf es sowohl analytisch wie methodisch prinzipiell eines integrativen Ansatzes vergleichender Sozialwissenschaft als vergleichende Politik- und Gesellschaftsanalyse (vgl. dazu exemplarisch Mahoney/Rueschemeyer 2003). Analytisch spricht dies für eine institutionalistische Forschung, die makrosoziale Strukturbildungen immer auch in ihren handlungsleitenden Ideen, symbolischen Repräsentationen, kulturellen Rechtfertigungsordnungen, legitimierenden Deutungsmustern und machtbasierten Interessenkonstellationen in den Blick nimmt (vgl. Lepsius 1990 und in diesem Band); methodisch ist in diesem Sinne ein komplexer Ansatz gefragt, der die methodologische Konfrontation qualitativer (fallorientierter) und quantitativer (variablenorientierter) Ansätze über- windet und deren jeweilige Stärken zu kombinieren versucht (vgl. programmatisch Ragin 1987). Auf diese Weise würde auch erst wirklich ernst genommen, was seit jeher als einer der wesentlichen Vorzüge und Erträge der vergleichenden Methode gewürdigt wird: das Auf brechen von sozialen Selbstverständlichkeiten durch die Konfrontation der eigenen gesellschaftlichen Normalität (bzw. der sozialen Normalitätskonstruktionen) mit anderen Formen der Vergesellschaftung. Es war der britische Schriftsteller Rudyard Kipling (1994 [1891]), der diese Einsicht auf die einprägsame Formel "and what should they know of England who only England know?" brachte. In diesem elementaren Sinne eines sozialen Lernens - als Erweiterung des gesellschaftlichen Archivs sozialer Alternativen (vgl. Geertz 1983) - ist der sozialwissenschaftliche Vergleich sicherlich erfolg versprechender und zielführender als in dem in den letzten Jahren häufig propagierten, stärker technischen Sinne einer politischen Übertragung sozialer "Problemlösungen" von einem (national)gesellschaftlichen Kontext auf bzw. in einen anderen. Gerade in der jüngeren Vergangenheit häufen sich jedoch, insbesondere im Zuge europäischer Politiken des "benchmarking", "mainstreaming" und der "offenen Koordinierung" (vgl. Bruno et al. 2006), genau derartige Inszenierungen politischen Lernens - bei denen die vergleichende Sozialwissenschaft wiederum eine durchaus gewichtige Rolle spielt. Sie wird in diesem Prozess - und zwar weitgehend unreflektiert - in eine neuartige Wissen-Macht-Formation integriert, deren nicht geringster Effekt die weitgehende "kognitive Harmonisierung" (vgl. Mandin/Palier 2004) der europäischen Gesellschaftspolitik ist. Auch dies gehört zur Realität der vergleichenden Gesellschaftsanalyse als sozialem Phänomen - und zu einer selbstkritischen Reflexion vergleichender Sozialforscherinnen und -forscher auf die gesellschaftliche Bedeutung ihrer wissenschaftlichen Praxis. Der vorliegende Band nun versammelt klassische Texte zur Einführung in die Kategorien, Methoden und zentralen Gegenstandsbereiche einer vergleichenden Gesellschaftsanalyse. Er ist in seinem Auf bau so angelegt, dass er - ganz oder teilweise - als Textgrundlage für Seminare insbesondere im fortgeschrittenen Bachelor- wie im einführenden Masterbereich politikwissenschaftlicher und soziologischer Studiengänge dienen kann: Beide Fächer teilen gerade im Feld des makrosozialen Vergleichs große gegenstandsbezogene wie methodisch-konzeptionelle Schnittmengen, die es uns ebenso angemessen wie angebracht erscheinen ließen, diesen Band als genuin transdisziplinären Reader zu konzipieren. Als solcher ver- mittelt er Einblicke in grundlegende Wissensbestände vergleichender Sozialwissen- schaft zu den Makrostrukturbildungen der modernen Gesellschaft, die allerdings auch in einschlägigen Seminaren der Geschichtswissenschaft, der Kulturwissenschaften oder aber der Vergleichenden Pädagogik von Interesse sein können. Der Überhang englischsprachiger Texte ist in diesem Zusammenhang - bei aller not- wendigen Selektivität der Zusammenstellung und einem gewissen sich daraus ergebenden Maß an Willkür der Auswahl - durchaus kein zufälliger, sondern vielmehr ein getreues Spiegelbild einer Forschungslandschaft, die gerade in diesem Feld naheliegender Weise hochgradig internationalisiert ist. Die insgesamt 20 versammelten Texte sind in zwei Blöcke (à 6 Themen bzw. potenzielle Seminarsitzungen) eingeteilt, denen jeweils eine kurze Einführung der Herausgeber vorgeschaltet ist. Diese enthält auch Hinweise auf weiterführend-einführende Literatur, die zur Ergänzung des Seminarangebots bzw. zur Konzeption begleitender Tutorien oder Lektürekurse genutzt werden kann.
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