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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053618
Sprache: Deutsch
Umfang: 99 S.
Format (T/L/B): 1.4 x 19 x 11.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eigentlich galt die Ehe von Madame Kampf mit einem jüdischen Bankangestellten in ihrer Familie als Mesalliance. Doch dann sind die Kampfs 1926 durch eine Börsenspekulation zu Reichtum gekommen. Jetzt trägt Madame ein schweres Brillantarmband, das sie nur noch zum Baden ablegt, und die vierzehnjährige Tochter Antoinette wird von einer englischen Gouvernante erzogen. Demnächst will das Ehepaar einen Ball geben, zu dem zweihundert Gäste aus Adel und Geldadel geladen werden sollen, um den Aufstieg der Kampfs in die feine Pariser Gesellschaft zu zelebrieren. Bei den Vorbereitungen zu diesem Ball nimmt ein Eifersuchtsdrama zwischen Mutter und Tochter seinen Anfang. Die Neuauflage eines erstmals 1930 erschienenen Werks einer großen Autorin, deren Wiederentdeckung bevorsteht.

Autorenportrait

Irène Némirovsky, 1903 als Tochter eines jüdischen Bankiers in Kiew geboren, floh 1917 wegen der Revolutionswirren mit ihrer Familie nach Frankreich. Dort heiratete sie und bekam zwei Töchter. Bis 1939 veröffentlichte sie erfolgreich mehrere Romane und Erzählungen. 1942 wird Némirovsky verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Dort stirbt sie kurz darauf an Typhus. Die Novelle Der Ball ist 2005 im Paul Zsolnay Verlag erschienen.

Leseprobe

Als Madame Kampf das Studierzimmer betrat, zog sie die Tür derart schroff hinter sich zu, daß der Kristallüster im Luftzug klingelte wie reines, leises Glöckchengeläut. Doch Antoinette, die so tief über das Pult gebeugt saß, daß ihr Haar die Buchseite streifte, hatte nicht aufgehört zu lesen. Ihre Mutter sah sie einen Augenblick wortlos an; dann baute sie sich vor ihr auf, die Arme vor der Brust verschränkt. 'Du könntest dir die Mühe machen aufzustehen, wenn du deine Mutter siehst, mein Kind', fuhr sie sie an. 'Oder vielleicht nicht? Klebt dein Hintern am Stuhl fest? Wie vornehm... Wo ist Miss Betty?' Im Nebenzimmer begleitete das Surren einer Nähmaschine ein Lied, What shall I do, what shall I do when you¿ll be gone away, das von einer unbeholfenen, frischen Stimme geträllert wurde. 'Miss', rief Madame Kampf, 'kommen Sie mal her.' 'Yes, Mrs. Kampf.' Die kleine Engländerin mit den roten Wangen, den verschreckten, sanften Augen und einem honigblonden, um das runde Köpfchen geschlungenen Haarkranz schlüpfte durch den Türspalt herein. 'Ich habe Sie eingestellt', setzte Madame Kampf streng an, 'damit Sie meine Tochter beaufsichtigen und unterrichten, nicht wahr? Und nicht, damit Sie sich Kleider nähen... Weiß Antoinette etwa nicht, daß man aufsteht, wenn die Mutter hereinkommt?' 'Oh! Ann-toinette, how can you?' säuselte die Miss bekümmert. Antoinette war inzwischen aufgestanden und schaukelte linkisch auf einem Bein. Sie war ein großes, kaum entwickeltes Mädchen von vierzehn Jahren, mit dem typischen blassen Gesicht dieses Alters, so blutarm, daß es in den Augen der Erwachsenen wie ein heller runder Fleck wirkt: unausgeprägte Züge, gesenkte Lider, Augenringe, ein verschlossener kleiner Mund... Vierzehn Jahre, die Brüste, die unter dem engen Schülerinnenkleid wachsen und den schwachen, kindlichen Körper stören und plagen... Die großen Füße und diese langen Röhren mit den roten Händen, den tintenbefleckten Fingern daran, die eines Tages vielleicht die schönsten Arme der Welt sein werden, wer weiß?... Ein zarter Nakken, darüber kurzes, farbloses Haar, trocken und leicht. 'Wirklich, Antoinette, deine Manieren sind zum Verzweifeln, mein armes Kind... Setz dich. Ich komme jetzt noch einmal herein, und du wirst mir den Gefallen tun, sofort aufzustehen, verstanden?' Madame Kampf trat ein paar Schritte zurück und öffnete die Tür ein zweites Mal. Antoinette erhob sich langsam und so offensichtlich widerwillig, daß ihre Mutter drohend den Mund zusammenkniff und scharf fragte: 'Hat Mademoiselle vielleicht etwas dagegen?' 'Nein, Maman', antwortete Antoinette leise. 'Warum ziehst du dann so ein Gesicht?' Antoinette zwang sich zu einem schwachen Lächeln, das ihre Züge schmerzlich verzerrte. Manchmal haßte sie die Erwachsenen so sehr, daß sie sie am liebsten umgebracht oder ihnen das Gesicht zerkratzt hätte, sie hätte aufstampfen und schreien mögen: 'Nein, rutsch mir doch den Buckel runter!' Doch sie fürchtete ihre Eltern von frühester Kindheit an. Als Antoinette noch kleiner war, da hatte ihre Mutter sie oft auf den Schoß genommen, an ihr Herz gedrückt, gestreichelt und geküßt. Aber das hatte Antoinette vergessen. Hingegen hatte sie tief in ihrem Inneren den Klang einer zornigen Stimme bewahrt, die über ihren Kopf hinweg zeterte, 'daß mir diese Kleine dauernd zwischen den Füßen herumlaufen muß...', 'schon wieder hast du mit deinen dreckigen Schuhen mein Kleid beschmutzt! Ab in die Ecke, damit du es endlich lernst, hörst du? Dummes Balg!', und eines Tages - damals hätte sie zum ersten Mal sterben mögen - bei einem Streit an einer Straßenecke jenen wütenden Satz, so laut herausgeschrien, daß sich die Passanten nach ihnen umgedreht hatten: 'Willst du eine Ohrfeige? Ja?', und ihre brennende Wange... Mitten auf der Straße... Sie war elf Jahre alt und groß für ihr Alter... Die Passanten, die Erwachsenen, das war nicht so schlimm; aber genau in diesem Moment waren e ... Leseprobe

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