Beschreibung
"Kein anderer fand für das Schwerste so leicht einen Klang, keiner war so mündlich im Ton und so einprägsam", schrieb Herta Müller über den Lyriker Theodor Kramer, dessen Gedichtbände sie einst in Bukarester Antiquariaten fand. Weil er als Heimat- und Landschaftsdichter den Nationalsozialisten zunächst unverdächtig erschien, konnten Kramers Bücher unbehelligt veröffentlicht werden. Erst der Protest in der "Arbeiter-Zeitung" gegen die Vereinnahmung seiner Texte durch die Nazis führte zum Publikationsverbot in Deutschland und behinderte sie in Österreich. Diese Sammlung von Liebesgedichten wurde um mehr als zwanzig bisher unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass und ein Nachwort von Daniela Strigl ergänzt.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
info@hanser.de
Kolbergerstr. 22
DE 81679 München
Autorenportrait
Theodor Kramer, 1897 in Niederhollabrunn als Sohn eines jüdischen Gemeindearztes geboren, studierte in Wien und arbeitete anschließend im Buchhandel. 1939 Emigration nach Großbritannien, 1957 Rückkehr nach Wien, wo er im April 1958 starb. Bei Zsolnay lieferbar: Gesammelte Gedichte Band 1 bis 3 und Spätes Lied (hrsg. von Erwin Chvojka) sowie Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan (hrsg. von Herta Müller) und Laß still bei dir mich liegen.
Leseprobe
Der Jahrestag Als ich abends einmal traurig war, küßte ich dich flüchtig auf dein Haar, küßte länger dich auf deine Lider und du küßtest auf den Mund mich wieder. Nichts war damals zwischen mir und dir als die oft und nie gestillte Gier und vielleicht die Trauer um den Schatten eines Glücks, das wir verloren hatten. Aber als der Tag im Fenster stand und ich dein Gesicht sah, das der Wand zugedreht bleich lag auf deinen Armen, fühlte ich nicht nur mit mir Erbarmen. Sacht hob ich mich fort aus deiner Näh, ließ das Bad ein, stellte auf zum Tee, stellte in die Vase frische Reiser, küßte dich dann lange und doch leiser. Und du sahst mich erst verschleiert an, kamst vom Bad noch feucht zurück sodann, strichst die Butter und mit stummer Bitte reichtest du mir die gebähte Schnitte. Und ich sah dich, wie ich nie dich sah, anders kamen wir uns schweigsam nah; laß des Tages gut uns noch gedenken und uns oft einander noch beschenken. Einer Arbeiterfrau Ich komm verrußt und müd nach Haus vom Werk noch mit dem Schritt der Schar; mein Flausch haucht Blei und Laugen aus, der kalte Schweiß verklebt mein Haar. Und keine gute Wärme harrt mein auf dem Flur, die mich empfängt und mit dem Hemd, verschwitzt und hart, die Schwere auf den Nagel hängt. Es ist die gleiche harte Macht in dir, die mich in deiner Näh befällt, befällt, wenn ich bei Nacht die Falten deiner Brüste seh, die böse Macht, mir selbst zur Qual, doch wider die kein Vorsatz frommt, wie manchmal trocken bleibt und schal der Gaumen, wenn kein Speichel kommt. Und ob ich kenne auch den Zwang, an dem leicht du auch leidest schlicht, ich bin zu müd, um ihn dir lang zu streichen aus dem Angesicht. Zu hart hat uns die Müh verbraucht schon, um einander so zu nahn, daß Güte tief in Güte taucht und gutmacht, was an uns wir sahn. Von schöner Übernächtigkeit Es ist schön, vom Lager einer kleinen Freundin Früh verstohlen aufzustehn und den Weg, der zwischen Quadersteinen aus dem Vorort führt, zur Stadt zu gehn. Unbefahren schimmern Steig und Schienen, seltsam blank glühn Hecke, Zaun und Dach; doch das Drahgeräusch der Kehrmaschinen bürstet sacht den Schwindel wieder wach. O des kalten Hochmuts, in den Ohren Großen Schwall, zu schreiten wie im Traum, an die strengen Züge ganz verloren, die sich straffen durch den Wangenflaum! Um sich in der Stadt die Haare striegeln und rasieren zu lassen, reicht die Zeit; und drei Tassen heißen Mokkas riegeln auf des Magens harte Nüchternheit! Und der Stirne schwindliges Behagen dauert an, solang die Sonne scheint, ob sie auch vorm Schreibtisch hinzuschlagen oder manchmal zu vergehen meint. Peinlich scharf und glücklich geht von statten, was zu tun ist; stets, wann es bequemt, stehn zu Diensten rauschend freie Schatten , bis ihr Spiel der Abend hemmt und lähmt. Leseprobe