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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207394
Sprache: Deutsch
Umfang: 264 S., 2 s/w Illustr., 2 Illustr.
Format (T/L/B): 2.5 x 20.8 x 13.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Orhan Pamuk ist nicht nur als Romancier bekannt, sondern auch als glänzender Essayist. Der vorliegende Band veranschaulicht die Vielzahl von Themen, über die er schreibt: Politik, Literatur und immer wieder Istanbul, die Stadt, die auch in den meisten seiner Romane präsent ist. Der autobiographische Bezug, der sich in seinen Romanen nur erahnen lässt, wird hier in den bewegenden Texten sichtbar, die seiner Kindheit gelten und der Erinnerung an seine Eltern.

Autorenportrait

Homepage von Orhan Pauk (Englisch)

Leseprobe

Durch die Bemühungen der hinter mir tätigen »Flüstermaschine«, des Krämers, der sich vom Aufseher zum Vermittler entwickelte, und mit der Hilfe echter Makler habe ich in jener Umgebung noch viel, viel mehr, wahrscheinlich Hunderte von alten Wohnungen begutachtet, zum Beispiel in einer von Kurden aus Tunceli bewohnten Straße, in dem von rumänischen Zigeunern bewohnten Viertel in Galata, wo die Frauen und Kinder auf den Eingangsstufen der Gebäude sitzen und alles Kommen und Gehen beobachten, oder auch an einer abschüssigen Straße, wo die älteren Frauen gelangweilt aus dem Fenster hingen und herunterriefen: »Soll er doch kommen und sich auch unser Haus einmal ansehen!« Was ich zu sehen bekam, waren halbzerstörte Küchen, mittendurch geteilte Salons, gänzlich abgetretene Treppenstufen, Zimmer mit Holzböden, deren Bruchstellen von Teppichen verdeckt waren, alte Wohnräume mit reichem Decken- und Wandschmuck, die man als Depot, Werkstatt, Lokal oder Lampenschirmgeschäft benutzte, herrenlose Gebäude, die wegen Eigentumsstreitigkeiten oder weil die Besitzer ausgewandert waren, verlassen worden waren und nun langsam verrotteten, Zimmer, wo aus allen Winkeln kleine Kinder hervorquollen wie aus vollgestopften Schränken, kühle Erdgeschoßwohnungen voller Modergeruch, Kellerräume mit sorgfältig aufgestapelten Holzstücken, Eisenteilen und anderem Kram, ein Sammelsurium, das in den Gassen, aus Mülltonnen oder unter irgendwelchen Bäumen aufgelesen worden war, Treppen, deren Stufen alle unterschiedlich hoch waren, tropfende Zimmerdecken, nach Schimmel riechende feuchte Wände, dunkle Treppenhäuser, in denen weder der Fahrstuhl noch die Beleuchtung funktionierte, und Frauen mit Kopftüchern, die mich in den Aufgängen durch den Türspalt musterten, Leute, die im Bett lagen, Balkone voll trocknender Wäsche, Mauern mit der Aufschrift: »Hier keinen Müll abladen!«, spielende Kinder in den Höfen und in den Schlafzimmern riesige, platzraubende Schränke, die sich alle mehr oder weniger glichen. Hätte ich nicht so viele Häuser hintereinander aufgesucht, wäre es mir wohl kaum möglich gewesen, so klar zu erkennen, womit sich die Menschen in ihren Behausungen am meisten befassen: Sie strecken sich auf einem Diwan, einem Sessel, einer Polsterbank, einem Sofa oder einem Bett aus und dösen; und sie schauen zu jeder Tageszeit fern. Diese beiden Tätigkeiten werden meistens - ergänzt durch den Konsum von Tee und Zigaretten - gleichzeitig ausgeführt. Und auf keine andere Art und Weise hätte ich erkennen können, welch unnötig großer Anteil dieser relativ wertvollen Stadtgrundstücke den Treppen vorbehalten blieb. Nachdem ich gesehen hatte, wieviel Raum die Treppen in diesen Gebäuden mit einer Breite von nur fünf oder sechs Metern und einer kaum nennenswerten Tiefe einnahmen, schloß ich meine Augen, vergaß sämtliche Fronten, Gebäude und Straßen der Stadt, versuchte nur, mir Hunderttausende von Treppen und sogenannten Treppenschächten vorzustellen, und begriff, daß in Istanbul der zerstückelten Immobilien wegen ein heimlicher Wald von Treppen entstanden war. Was aber am Ende dieser Expeditionen meine Phantasie am meisten erregte, war die auf erstaunliche Weise andersartige Nutzung dieser bei aller Stattlichkeit eigentlich bescheidenen und kleinen Gebäude, die vor hundert Jahren unter ganz anderen Vorstellungen und Erwartungen von armenischen Architekten und ihren Gehilfen für die griechische und levantinische Bevölkerung Istanbuls entworfen worden waren. Während meiner Ausbildung zum Architekten habe ich gelernt, daß ein Gebäude den Ideen von Architekt und Auftraggeber entsprechend gestaltet wird. Als die griechische, armenische und levantinische Bevölkerung, die sich zuerst in den Häusern niedergelassen hatte, im 20. Jahrhundert gezwungen war, jene Bezirke Istanbuls zu verlassen und abzuwandern, wurde das Vorstellungsvermögen derer, die nach ihnen kamen, bestimmend für das restliche Dasein der Gebäude. Ich spreche hier nicht von einem aktiven Vorstellungsvermögen, das Leseprobe

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