Beschreibung
"Es liegt etwas Magisches in der Beziehung zwischen Menschen und Pferden." Sara Gruen Warum kann Annemarie sich nicht immer so unbeschwert und frei fühlen wie auf dem Rücken ihres Pferdes? Sobald sie festen Boden unter den Füßen hat, ist alles wieder da: ihr bevorstehender vierzigster Geburtstag, das neue Familienglück ihres Exmanns und ihre rebellische sechzehnjährige Tochter Eva. Und dann ist da noch ihre Beziehung zu Dan, die immer komplizierter wird. Vielleicht wiegt die Last, nach einem Reitunfall keine Kinder mehr bekommen zu können, doch zu schwer? Und ausgerechnet jetzt will Eva mit dem schwierigsten Pferd im Stall bei einem Turnier antreten.
Autorenportrait
Die gebürtige Kanadierin Sara Gruen lebt heute mit ihrem Mann und ihren drei Kindern, fünf Katzen, zwei Ziegen, einem Hund und einem Pferd in einer Naturschutzgemeinde in der Nähe von Chicago. "Alles Glück dieser Erde" war ihr erster Roman.
Leseprobe
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch - in einer Sekunde saß ich noch auf Harry, habe mein Pferd geritten, jenes Phantom, diese flüchtige Gestalt, und in der nächsten beginnen meine Lider zu flattern, und ich starre an die Zimmerdecke. Als mir bewusst wird, dass ich nicht auf seinem Rücken sitze - sondern unter einer dicken Daunendecke im eiskalten Schlafzimmer des Apartments über dem Stall meiner Mutter liege -, schließe ich die Augen wieder, verharre reglos in dem Versuch, ihn zum Bleiben zu bewegen. Aber es nützt nichts - sein Körper löst sich auf, die Zügel schmelzen in meinen Fingern dahin, und er galoppiert davon, so vergänglich wie ein Hauch im Wind. Ohne einen Muskel zu bewegen, lausche ich dem Verklingen seiner Hufschläge. Ich höre sie. Ich schwöre. Bei Gott. Harry taucht mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit in meinen Träumen auf, wenn man bedenkt, wie perfekt er sich in der Vergangenheit meinem Zugriff entzogen hat. Selbst Jahre nach seinem Tod habe ich mich so sehr nach ihm gesehnt, dass ich manchmal nachts die Augen zusammengekniffen und meine Gedanken endlos um ihn habe kreisen lassen - Harry mit erhobenem Kopf und geblähten Nüstern, wie er eine Weide entlang galoppiert; Harry, wie er den Wind wittert, mit gespitzten Ohren und einer Brust so hart wie Beton; wie seine herrlichen gescheckten Beine vorschnellen wie bei einem Saddlebred - in der Hoffnung, einen Traum heraufzubeschwören. Doch es gelang mir nie. Wie sehr ich mich auch an ihn klammerte, im entscheidenden Moment verlor ich die Kontrolle, so dass er mir wieder entglitt und dorthin verschwand, wo ich nicht hin durfte, wo auch immer dieser Ort sein mochte. Die wenigen Male, die er in meinen Gedanken erschien, waren nicht willkommen und schrecklich und zeigten ihn genau in jenem Augenblick, als er vor all den Jahren unter mir zu Tode kam. Aber jetzt nicht mehr. Inzwischen erscheint er mir in voller Größe, gesund und wohlbehalten. Und ich bin neununddreißig und nicht mehr achtzehn. Manchmal sitze ich auf seinem Rücken, und wir reiten in leichtem Galopp durch Felder aus wogendem Gras. Manchmal stehe ich neben ihm und spüre seinen Atem in meiner Hand, höre ein leises, tiefes Wiehern in seiner Brust, wenn er mich begrüßt. Manchmal springen wir sogar über Zäune, einen nach dem anderen, vereint in einem perfekten Rhythmus. Sein Tod liegt mehr als zwanzig Jahre zurück, und trotzdem besitzt er in meinen Träumen dieselbe Bedeutung wie früher in meinem Leben. Ein Psychologe würde wahrscheinlich sagen, er sei schon immer da gewesen, nur würde ich erst jetzt zulassen, dass er sich zeigt. Dass ich endlich an dem Punkt angelangt sei, wo ich an ihn denken könne, ohne zu zerbrechen. So würde es ein Psychologe beschreiben. Aber das kann ich nicht genau sagen, weil ich nicht in Behandlung bin. Mom und Dan haben es vorgeschlagen, unabhängig voneinander, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, weshalb. Meine Reaktion war jedes Mal eine Mischung aus lautstarker Empörung und tiefer, mit Wut durchsetzter Verletztheit (während ich im Geiste meine jüngsten Taten und Bemerkungen durchging, um herauszufinden, warum genau alle um mich herum immer taten, als hätte ich den Verstand verloren). Aber ich muss gestehen, dass ich die Idee später - in der Abgeschiedenheit meines Zimmers, wenn es keinen Anlass mehr gab, die Stacheln aufzustellen - eigentlich recht spannend fand. Natürlich nicht spannend genug, um sie ernsthaft in Betracht zu ziehen, aber immerhin so spannend, um mich zu fragen, was ein Psychologe bei jemandem wie mir wohl ausrichten könnte. Wahrscheinlich ist das nicht die beste Freizeitbeschäftigung für jemanden, der ohnehin dazu neigt, alles zu Tode zu analysieren, doch der Gedanke geht mir trotzdem nicht mehr aus dem Sinn. Eine Idee lässt sich nicht einfach herausziehen wie ein Stöpsel aus der Badewanne. Während die Amateurpsychologin in mir beschlossen hat, dass meine Träume so sehr von Harry dominiert werden, weil mir die Tatsache, dass Leseprobe