Beschreibung
"Natsuo Kirinos Schilderungen atmen eine merkwürdige und verhaltene Ästhetik des Kaputten. Und verblüffenderweise hat darin auch noch ein dezenter, makabrer Humor Platz. (
) In Japan ist Kirino inzwischen eine Starautorin, die als Spezialistin für realitätsgesättigte und spannende Erzählungen von Außenseitern gilt, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Und in der Tat, wie Kirino einen packenden Plot mit wirklichkeitsnah-illusionslosen, sozialkritischen Einblicken verbindet, kündet von schriftstellerischer Meisterschaft internationalen Ranges." Frankfurter Allgemeine Zeitung zu "Die Umarmung des Todes" "Am eindrücklichsten sind die Frauenfiguren gezeichnet. Die prekäre Situation der Prostituierten aus dem Bordell in Yokosuka, die jahrelang ihren Körper verkauft haben, um am Ende ihrer beruflichen Laufbahn in Armut zu versinken, ist offensichtlich. Kirino erzählt darüber hinaus allerdings auch von ganz normalen japanischen Hausfrauen, die durch die finanzielle Abhängigkeit von ihren Ehemännern in die Rolle einer Dienstmagd gezwungen werden, und von alleinerziehenden Müttern, die ihre Kinder unter der Hand zur Adoption anbieten, um mit dem Geld ihre drückenden Schulden zu begleichen. So verbirgt sich unter der grausamen Oberfläche dieses vermeintlichen Psychothrillers ein düsterer Bericht vom Rand der japanischen Gesellschaft." Deutschlandradio Kultur "Wie schon bei dem grandiosen Bestsellerdebüt in Deutschland Die Umarmung des Todes bringt uns Natsuo Kirino das heutige Japan, das Leben und vor allem die Frauen des Landes sehr nahe. Teufelskind ist gnadenlos und blutig und eine Reise in das dunkle Japan." Alex Dengler, denglers-buchkritik.de
Autorenportrait
Natsuo Kirino wurde 1951 in Kanazawa geboren und lebt seit ihrer Jugend in Tokio. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Seikei University, bevor sie sich zu einer Karriere als Schriftstellerin entschloss. Mit ihrem Roman "Die Umarmung des Todes" gelang ihr der große internationale Durchbruch. Ihre Bücher werden in neunzehn Sprachen übersetzt und mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet.
Leseprobe
An einem Frühlingsabend schickte sich das Ehepaar Kadota an, seinen zwanzigsten Hochzeitstag auswärts zu feiern. Eigentlich hatte sich Misaè gefreut, nach so langer Zeit wieder einmal essen zu gehen, Minoru bestand jedoch auf dem Restaurant Kinka-En in Higashi-Nakano, was ihre Freude etwas trübte. Der Geruch von gebratenem Fleisch würde sich in ihrer Kleidung festsetzen. Misaè trug das Imitat eines Missoni-Strickanzugs, den sie beim Räumungsverkauf einer Boutique in Okubo ergattert hatte. Aufgrund ihrer Leibesfülle zogen sich die Maschen unvorteilhaft in die Breite. Der dauerwellengelockte Inhaber der Boutique hatte ihr jedoch mit den Worten geschmeichelt, diese rot-blau-gelb-grüne Farbkombination ließe ihren Teint strahlender erscheinen, und so war sie ganz stolz auf ihren Anzug. Misaè wäre lieber in ein Restaurant am Hakodate-Markt gegangen, um Sushi zu essen. Wenn sie daran dachte, wie die noch schön gekühlten Thunfischstückchen auf dem Fließband heranrollten, lief ihr das Wasser im Munde zusammen. »Du hättest mir gleich sagen können, dass du dich schon für koreanischen Braten entschieden hast.« Minoru überhörte den leisen Vorwurf seiner Frau und begann voller Begeisterung, koreanische Gerichte aufzuzählen: »Rippenfleisch, gebratene Innereien, gesalzene Zunge mit Lauch, Kimchi, Glasnudeln mit Fleisch und Gemüse. Wenn noch Platz ist, essen wir koreanischen Pfannkuchen und zum Abschluss Reisauflauf oder Reissuppe. Oder vielleicht auch Suppe mit Kimchi, Tofu und Fleisch. Oder aber wir bestellen nur das Rippenfleisch in bester Qualität und verzichten dafür auf den Rest.« »Bestell aber bitte auch Roastbeef«, setzte Misae dagegen. Minoru, der vor ihr mit federndem Schritt durch die Gassen von Nakano ging, schien es nicht zu hören. Er trug eine verwaschene, etwas zu große Jeans und einen Parka. Seine braun gefärbten Haare waren mit Gel nach hinten gekämmt. Wie ein Künstler ließ er sich einen leichten Kinnbart stehen. Obwohl schon in fortgeschrittenem Alter, wirkte der kleine und schmächtige Minoru noch wie Anfang dreißig. Misae beobachtete ihren Mann, der sich so offenkundig auf das Bratfleisch freute. Ein ewiges Kind. Ihr fünfundzwanzig Jahre jüngerer Mann. Als die beiden zusammengezogen waren, hatte Misae gemeint: »Du kannst mich Mama nennen.« Zuerst hatte Minoru diese Anrede nur im Flüsterton gebraucht und sie niemals in Gegenwart anderer Leute benutzt. Jetzt schmetterte er sein »Mama« laut und ungeniert heraus. Die kinderlose Misae schätzte es im Grunde nicht, in der Öffentlichkeit von ihrem Mann »Mama« gerufen zu werden. Ihr kam es dann so vor, als wolle Minoru damit seiner Umwelt den falschen Eindruck vermitteln, bei ihnen handele es sich nicht um ein Ehepaar, sondern um eine langsam in die Jahre kommende Mutter mit ihrem Sohn im besten Alter. Wenn sie unter sich waren, fand sie Minoru reizend. Nur seine Art, sich vor anderen Leuten unnötigerweise aufzuspielen, war ihr zuwider. Vielleicht nahm sie jedoch eher an dem Umstand Anstoß, dass ihr Äußeres sie mehr und mehr daran hinderte, als seine Ehefrau zu gelten? Letzteres war wahrscheinlicher. Misae fasste den Entschluss, sich verstärkt um mehr Jugendlichkeit zu bemühen. »Oh, das Ehepaar geht aus, wie schön!« Ein älterer Mann, der auf dem Parkplatz vor der Pachinko-Halle gerade sein Fahrrad abschließen wollte, hob den Kopf und grinste. Der Mann war Chef der Baufirma, in der Minoru bis Jahresende angestellt gewesen war. Minoru richtete den Blick zu Boden und gab keine Antwort. Misae setzte dagegen ein Lächeln auf. Sobald der Chef in der Pachinko-Halle verschwunden war, machte Minoru ihr heftige Vorwürfe: »Mama, da gibt es wirklich nichts zu lachen. Der Kerl hat immer mir die Schuld gegeben, sogar für einen schiefen Fußboden. Dabei war schon die Grundkonstruktion missraten. Für die kann ich nichts. Ich bin Zimmermann. Der wollte nur die Verantwortung auf mich abwälzen. Das hat mich wütend gemacht.« Minoru war ein schlampiger Zimmermann, und es gab oft Beanstandungen: Bo