Beschreibung
Nachdem sie auf wundersame Weise einen Flugzeugabsturz überlebt hat, muss sich die zweiundsiebzigjährige Texanerin Cloris Waldrip durch die Rocky Mountains schlagen - ausgerüstet mit einem einzelnen Stiefel, einer Bibel und ein paar Karamellbonbons. Die Einzige, die an ihr Überleben glaubt, ist die kürzlich geschiedene Rangerin Debra Lewis, die sich, bewaffnet mit einer Thermosflasche Merlot, auf die Suche nach Cloris macht. Während sich die beiden Frauen ihren aussichtslosen Weg durch die unbarmherzige Wildnis schlagen, erhärtet sich allmählich ein Verdacht: Gibt es jemanden, der Cloris beobachtet?
Autorenportrait
Rye Curtis stammt aus Amarillo, Texas. Er hat einen Abschluss von der Columbia University und lebt in Queens. Cloris ist sein erster Roman.
Leseprobe
Ich habe mir abgewöhnt, allzu vorschnell über andere zu urteilen. Die Leute sind halt, wie sie sind, ich glaube, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Vor zwanzig Jahren mag ich anderer Meinung gewesen sein, aber damals war ich auch noch eine andere Cloris Waldrip. Und jene Cloris Waldrip, die ich zweiundsiebzig Jahre lang gewesen war, wäre ich wohl auch geblieben, wäre nicht am Sonntag, dem 31. August 1986, das kleine Flugzeug, in dem ich saß, vom Himmel gefallen. Es ist schon erstaunlich, dass eine Frau den Herbst ihres Lebens erreichen kann, nur um festzustellen, dass sie sich selbst bislang im Grunde gar nicht recht gekannt hat. Ich saß am Fenster, und zu meiner Rechten saß mein werter Gatte, Mr Waldrip. Seine Finger waren damit beschäftigt, an einer eingerissenen Nagelhaut herumzuspielen. Mein Gatte war ein freundlicher Mann mit einem Vogelgesicht, und er trug eine Brille mit dicken Gläsern. Er war in Amarillo, Texas, zur Welt gekommen, als Sohn eines Vertreters für Sonnensegel und einer Hebamme. Ich hatte ihn im Sommer 1927 bei einer Tanzveranstaltung im örtlichen Rathaus kennengelernt. Damals war seine Familie gerade aus der großen, lauten Stadt Amarillo ins beschauliche Clarendon gezogen, das rund sechzig Meilen östlich lag und wo ich geboren und aufgewachsen bin. Er war ein furchtbar hübscher Knabe, hochgewachsen, mit dunklem Haar. Allerdings trug er ständig eine kleine blaue Kappe, und damit sah er mächtig albern aus. Wir waren beide noch Kinder. Ich war gerade dreizehn geworden. Er schenkte mir eine leider schon arg verwelkte Rose, die er aus Mrs McKees Garten stibitzt hatte. An diesem Morgen, im August 1986, hatte er ein wenig Jalapeñogelee am Kinn. Offenbar klebte es dort seit unserem Frühstück, das im Preis für die Übernachtung im Big Sky Motel in Missoula, Montana, inbegriffen gewesen war. Ich wollte ihm gerade sagen, er möge doch bitte das Taschentuch benutzen, das ich ihm zu Weihnachten vor elf Jahren geschenkt hatte und in das ich seine Initialen gestickt hatte, da hob er an, dem Piloten einen Vortrag über Niederschlagsmengen zu halten. Das tat er bei allen Männern, die ihm über den Weg liefen. Mr Waldrip hatte für uns einen Rundflug über den Bitterroot National Forest arrangiert, zu einem Flugplatz in der Nähe einer Hütte, die wir gemietet hatten. Der Pilot, den er angeheuert hatte, war ein kräftiger, gepflegter junger Mann namens Terry Squime. Terry war höchstens dreißig Jahre alt und frisch verheiratet. Er zeigte uns ein Foto seiner Braut. Sie war hübsch und sah fast aus wie Catherine Drewer, eine frustrierend unhöfliche Brünette aus unserer Kirchengemeinde, der First Methodist, nur dass Mrs Squime ein paar Jahre jünger war und ihre Kinnlade weniger einem Schuhlöffel und ihre Nase weniger einem verschrumpelten Pilz glich. Als ich Mrs Squime später persönlich kennenlernte - ich habe sie wohlweislich davor gewarnt, bestimmte Passagen dieses Berichts zu lesen -, stellte ich zu meiner großen Freude fest, dass sie eine durchaus angenehme und selbstlose junge Frau ist. In dieser Hinsicht ähnelt sie Catherine Drewer überhaupt nicht. Mr Waldrip schwadronierte also über Regenfälle und die lästigen Biber, und ich wandte mich wieder meinem Fensterchen zu. Die Cessna 340 ist ein kleines Flugzeug mit zwei Propellern und sechs Sitzen, und unsere Maschine war von einem Flugplatz bei Missoula gestartet und flog gen Süden über die Bitterroot Mountains. Das sind Berge, die einen daran erinnern, dass wir, wie alt wir auch sein mögen, verglichen mit unserer Erde unendlich jung sind. Von der Form her erinnerten mich die Gipfel an die Pfeilspitzen, die mein kleiner Bruder Davy - möge seine kleine Seele in Frieden ruhen - immer im Palo Duro Canyon ausgrub, als wir Kinder waren. Ich hatte zweiundsiebzig Jahre lang in der Panhandle-Region im äußersten Norden von Texas gelebt, und dort gehören Berge nicht zu den ortsüblichen geologischen Spezialitäten. Das Land ist so fla
Schlagzeile
'Spannend, bewegend und sehr makaber komisch.' Elke Heidenreich