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Hinterland

Neue Geschichten aus Wyoming

Erschienen am 03.08.2005
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783630872070
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 22.1 x 14.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die neuen Geschichten der Pulitzerpreisträgerin Annie Proulx wirken so wunderbar leicht - man möchte gleich Country-Lala von Shania Twain auflegen, die Fransenjacke überziehen und auf einem Schaukelstuhl in den Sonnenuntergang von Wyoming wippen. Aber sicherheitshalber eine Schrotflinte neben den Schaukelstuhl legen!" Neue Ruhrzeitung "Staubtrocken, surreal und großartig nach Art eines Rhodeos." Cosmopolitan "Eine ganze Parade verschrobener Helden mit verrückten Namen." Buchjournal

Autorenportrait

Annie Proulx, 1935 in Connecticut geboren, lebt heute in Denver und Wyoming. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzerpreis, dem National Book Award sowie de

Leseprobe

Der Höllenschlund An einem Novembertag ritt Wildhüter Creel Zmundzinski von der Jagd- und Fischereiaufsicht Wyoming im dichter werdenden Licht des Spätnachmittags den Pinchbutt-Abflußgraben hinunter. Die letzten Fetzen Sonnenlicht besprenkelten seinen roten Backenbart mit feurigen Spritzern. Das Gelände war abschüssig, mit Drehkiefern bestanden, weiter unten von Beifuß abgelöst und vereinzelten Wiesen, die Wapitis im Winter auf ihrer Wanderschaft nach Südosten gern aufsuchten. Ab und zu, wenn der Blick nicht verstellt war, sah er auf dem Kies der Wendestelle unten in der Ferne seinen Geländewagen samt Pferdeanhänger glitzern. Er ritt ganz langsam, sang das Lied vom großen Joe Bob, »Stolz des hinteren Felds, Held seiner Tage«, während vor ihm der Übeltäter ohne Jagdschein ging, den Creel beim Verscharren der Eingeweide einer Elchkuh überrascht hatte. Die Hinterschenkel hatte der Mann in seinen ATV-Geländewagen geladen, den Rest des Kadavers der Verwesung überlassen. »Das hier ist ein geschütztes Gebiet, in dem nicht gejagt werden darf«, sagte Creel. »Zeigen Sie mir Ihren Jagdschein.« Der rotgesichtige alte Knabe betatschte die zahlreichen Taschen seiner Jagdjacke. Die Jacke war neu, am hinteren Saum steckte noch das Preisschild. Das Aufblitzen des Preisschilds war Creel durch die Bäume aufgefallen. Jetzt förderte der Mann seine Brieftasche zutage und suchte darin. Während er wartete, lauschte Creel Zmundzinski auf einen Ton, den er nicht hören wollte. Nach langem Suchen reichte der Mann Creel ein Papprechteck. Es war eine Visitenkarte, die neben Telefonnummern und einer immens verkleinerten Abbildung der Kathedrale von Chartres folgende Worte aufwies: EHRWÜRDEN JEFFORD J. PECKER GEISTLICHER ZU PERSIA »Persia, wo ist das?« fragte Creel, der an den Iran dachte, da ihm die Vorwahl 323 nicht vertraut war. Er hatte den Eindruck, als höre er das gefürchtete Geräusch aus der Ferne. »Pör-si-öh, Kalifornien«, sagte der Geistliche laut und nasal, um Creels Aussprache zu korrigieren. »Ist das Ihre Kirche?« fragte Creel, der die Abbildung betrachtete. Tatsächlich, von dem Weidengehölz unten am Grund der Wiese hörte er das jammervolle Blöken eines verwaisten Elchkalbs. »Sie sieht ganz ähnlich aus.« »Aber einen Jagdschein kriegt man dadurch noch lange nicht.« Sein Ton war jetzt sehr kühl. Was der Geistliche nicht wissen konnte, war, daß er dem einen unter dreiundfünfzig Wildhütern in Wyoming über den Weg gelaufen war, der nichts mehr verabscheute als Elchkuhmörder, weil sie verwaiste Kälber dem Schicksal überließen, sich in einer Welt voller Raubtiere und unbarmherziger Witterung allein zurechtzufinden. Creel Zmundzinski war nämlich selbst Waise und hatte nach dem Tod seiner Eltern bei Tante und Onkel auf deren Ranch in Encampment gelebt. Doch Schuleschwänzen, schlechter Umgang und zu guter Letzt Einbruchdiebstahl hatten ihn in das Jugendheim St. Francis gebracht. Zornbebend ob der Ungerechtigkeit des Lebens und voller Selbstmitleid sorgte er bei jedem Anlaß für Ärger. Von St. Francis hätte er nahtlos in das Staatsgefängnis in Rawlins wechseln können, wäre da nicht Orion Horncrackle gewesen, ein betagter Beamter der Jagd und Fischereiaufsichtsbehörde. Wildhüter Orion Horncrackle hatte die schönste Kindheit gehabt, die ein Junge sich wünschen kann. Er und seine drei älteren Brüder waren in dem Buffalo-Forks-Gebiet am Snake River aufgewachsen, mitten auf dem Kontinent, und hatten in den dreißiger und vierziger Jahren in der Wildnis der Beartooth- und Buffalo-Hochebenen ihre Pferde geritten, im Freien übernachtet und gejagt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten seine überlebenden Brüder die Ranch übernommen, und Orion hatte als erster Horncrackle die Universität von Laramie besucht. Er promovierte in Biologie, trat eine Woche darauf in die Behörde für Jagd- und Fischereiaufsicht ein und blieb dort für den Rest seines Arbeitslebens.

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