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Begegnung auf Capri

Erinnerungen an Graham Greene

Erschienen am 16.09.2002
17,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552052017
Sprache: Deutsch
Umfang: 228 S.
Format (T/L/B): 2 x 19.2 x 12.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Fasziniert von der malerischen Insel im Golf von Neapel, den klippenreichen Steilküsten und den prächtigen Gärten, kam Graham Greene nach Capri. Hier lernte er Shirley Hazzard kennen, und eine jahrzehntelange Inselfreundschaft begann. In "Begegnung auf Capri" nähert sich Hazzard dem unnahbaren Engländer, beschreibt den zwiespältigen Menschen, der großzügig und geizig zugleich, weltoffen und verstockt in einem war. Ihr Buch ist ein persönliches und doch kritisches Porträt eines großen Schriftstellers und eine Liebeserklärung an Capri, "eine der schönsten Szenerien der Welt".

Autorenportrait

Shirley Hazzard wurde 1931 in Australien geboren, gestorben 2016 in New York. Sie arbeitete für die Vereinten Nationen und publizierte mehrere Romane. Für The Transit of Venus erhielt sie den National Book Critics Circle Award for Fiction.

Leseprobe

An einem Dezembermorgen gegen Ende der sechziger Jahre saß ich im Gran Caffe an der Piazzetta von Capri am Fenster und löste das Kreuzworträtsel in der Londoner Times. Es regnete schon seit Tagen, und die hoch aufragende Felswand des Monte Solaro war dunkel verhüllt. Eine stürmische See und die vorübergehende Einstellung des Fährverkehrs von Neapel hatten zur Unterbrechung der Lieferungen vom Festland geführt, und die gerade eingetroffene Zeitung war mehrere Tage alt. Die wenigen anderen Tische im Cafe waren unbesetzt. Hin und wieder kam ein durchnäßter Caprese herein, ein Arbeiter oder ein Geschäftsinhaber, um an der Theke einen Kaffee zu trinken. Die nasse Kleidung und der Espresso dampften, man hörte das Klappern und Klirren kleiner Tassen und Löffel, kurze Unterhaltungen im Dialekt. Es war kurz vor Mittag. Zwei hohe Gestalten unter Regenschirmen erschienen auf dem leeren Platz und kamen mit großen Schritten auf das Cafe zu: zwei Engländer, beide in Regenmänteln, und der eine, der ältere, mit einer schwarze Baskenmütze auf dem Kopf. Der Mann mit der Baskenmütze war Graham Greene. Ich erkannte ihn - wie jeder ihn erkannt hätte; außerdem hatte ich ihn schon in der Vergangenheit auf Capri gesehen, im Restaurant Da Gemma in der Nähe der Piazza, wo er an einem Ecktisch mit Catherine Walston, seiner Lebensgefährtin und großen Liebe der Nachkriegsjahre, zu Abend aß. Das war in den späten fünfziger Jahren; damals besuchte ich Neapel und Capri von Siena aus, wo ich regelmäßig einen Teil des Jahres verbrachte. Es war allgemein bekannt, daß Greene in der Stadt Anacapri, im höher gelegenen Teil der Insel, ein Haus besaß, das er seit vielen Jahren treu, wenn auch nur sporadisch, aufsuchte. An diesem feuchten Dezembermorgen betraten Greene und sein dunkelhaariger Freund das Gran Caffe, hängten ihre Mäntel auf und setzten sich an den kleinen Tisch neben meinem. Ich löste weiter mein Kreuzworträtsel, doch es war unmöglich, das Gespräch meiner Nachbarn nicht zumindest teilweise mit anzuhören. Graham Greene hatte nicht etwa eine laute Stimme, doch er sprach eindringlich und ausdrucksvoll, er senkte die Stimme nur, wenn er Nebensächlichkeiten oder Vertrauliches mitteilen wollte. Die Stimme war individuell, aus der Zeit, bevor in England die Kultur verflachte, als die Art eines Menschen zu sprechen, unabhängig von seiner Klassenzugehörigkeit, noch ein persönliches Ausdrucksmittel sein konnte, das in der Unterhaltung andere in seinen Bann schlug. Ich hätte so oder so bemerkt, was er sagte, denn er begann, aus einem Gedicht von Robert Browning mit dem Titel "Die verlorene Geliebte" zu zitieren. Das Gedicht fängt so an: Alles vorbei dann: klingt die Wahrheit bitter? Doch die Stelle, die Greene besonders interessierte, kommt später: Und sehn wir uns, wie immer, morgen, Liebe? Darf ich mit meiner deine Hand umfassen? Bloß Freunde jetzt - nur, die bloß Freunde blieben, Behielten viel, das ich jetzt lasse. Er zitierte auch noch die abschließenden Strophen, konnte sich jedoch nicht an die letzte Zeile erinnern. Die Zeilen, die er rezitierte und dann noch einmal wiederholte, lauten: Doch sag ich nur, nach bloßer Freunde Art, Oder um einen Bruchteil wärmer: Ich nehm die Hand, solang wie jeder darf, An die allerletzten Worte konnte er sich nicht erinnern. Er kam mehrmals darauf zurück, versuchte sie seinem Gedächtnis zu entlocken, aber es gelang ihm nicht. Als ich meinen Kaffee getrunken und mein Rätsel gelöst, bezahlt, den Regenmantel angezogen und den Schirm aus dem Ständer genommen hatte, sagte ich: "Die Zeile lautet Oder ein ganz klein wenig länger." Ich ging sogleich fort, durch den Regen zurück zum Hotel San Felice, wo wir damals wohnten, wenn wir auf Capri waren, bis wir, kurz nach diesem Besuch im Dezember, in einem alten Haus eine einfache Wohnung mieteten, die das nächste Vierteljahrhundert unser Nest auf Capri sein sollte. Francis - mein Mann, Franci ...